Freitag, 1. April 2011

25/ Indian Lovestory


Vor nicht allzu langer Zeit saßen Prajna, Sri und ich in der Pause zusammen. Ich nippte an meinem viel zu heißem Tee (Chai). Es gab Sweet Buns, die ich absolut vergöttere und die ich sogar Puris vorziehe. Da fragte Prajna mich, ob ich denn Leute zu mir in die Wohnung einladen darf - ob das erlaubt sei oder ob es da strenge Regeln gäbe. Ich wunderte mich über diese Frage. Schließlich wohnen wir völlig frei in einer Wohnung – das ist doch kein indisches Wohnheim. In stiller Vorfreude auf weiblichen Besuch (bisher hatten wir nur Techniker im Haus) sagte ich, dass meine Wohnung immer für sie offen sei.
Prajna druckste etwas herum, dann rückte sie mit der Sprache heraus. Sie erzählte mir ihre Geschichte und ich freute mich über das Vertrauen und den tiefen Einblick in das (streng geheime) indische Privatleben.
Prajna hat seit 5 Jahren einen inoffiziellen „Boyfriend“. Sie lernte ihn kennen, als sie damals den Master of Business Administration in Bangalore (Hauptstadt von Karnataka) gemacht hat. Nach dem Master arbeitete sie bereits ein Jahr lang dort. Als ihr Vater jedoch von ihrem Freund erfuhr, musste sie sofort alle Zelte abbrechen und zu ihrer Familie zurück nach Udupi gehen. Der Vater akzeptiert diese Liason nicht, weil Prajna’s Freund in einer anderen Kaste ist. Der Partner kann noch so nett, klug und reich sein – ausschlaggebend ist die Kaste. Davon gibt es in Indien ungefähr 3.000 Stück. Prajna’s Vater ist da besonders streng, weil er früher das Kastenoberhaupt war. Deswegen ist es umso wichtiger für ihn, was die Leute denken und dass kein schlechtes Bild auf seine Familie geworfen wird. Die ganze Situation birgt eine Menge Konflikte. Prajna leidet unter dem Stress zu Hause und klagt, dass ihr Vater so oft rumschreit.
Sie möchte aber unter keinen Umständen klein beigeben. Sie hält weiterhin telefonischen Kontakt zu ihrem Freund – auch wenn sie sich jetzt 1,5 Jahre nicht gesehen haben. Der Vater kontrolliert sie aber auf Schritt und Tritt. Sie darf nirgendwo längere Zeit allein hin. Er ruft sie täglich (auf Arbeit) an und wenn besetzt war, dann fragt er immer mit wem sie gesprochen habe.
Dazu kommt, dass ihr Vater sie so schnell wie möglich verheiraten möchte. Ihre jüngeren Geschwister dürfen auch erst heiraten, wenn Prajna verheiratet ist. Die möchte natürlich lieber „single“ bleiben. Ich weiß zwar nicht genau wie alt sie ist, aber ich schätze mal zwischen 25 und 30. Den Heiratszenit hat sie also schon überschritten. Es kam sogar schon mal ein Kandidat zu ihr nach Hause. Sie würdigte ihn keines Blickes und lies ihn ihr Desinteresse ordentlich spüren. Zum Glück hatte er dann auch keine Ambitionen für eine Frau, die ihm derart abgeneigt und widerspenstig ist. Keiner weiß wie das weiter gehen soll und wer sich durchsetzen wird.
Nun zurück zu Prajna’s Frage an mich. Sie wagt nun einen mutigen Versuch. Sie erzählte mir, dass ihr Freund zum ersten Mal einen Tag nach Manipal kommen wird. Von Bangalore bis Manipal sind es immerhin 7 Stunden. Er möchte mit ihrem Vater reden. Die beiden sind bereits schon in Bangalore einander begegnet, aber das eskalierte und der Vater schrie ihn respektlos an.
Nun nehmen sie einen zweiten Anlauf – ihre vielleicht letzte Chance. Prajna ist ziemlich durch den Wind wegen dem lebensentscheidenen Treffen. Sie kann überhaupt nicht einschätzen was passieren wird – sie kann nur hoffen. Dieses Treffen wurde nämlich dem Treffen der Eltern vorgeschoben. Prajna möchte auf keinen Fall, dass ihr Vater die Familie ihres Freundes anschreit und somit herabwürdigt. Denn dann sei von deren Seite wohl keine Hochzeitseinwilligung mehr zu erwarten. Prajna bekommt sogar Rückhalt aus ihrer Familie, aber der Vater hat das letzte Wort.
Bevor der Freund aber auf den Vater trifft, möchte Prajna gerne einige Dinge mit ihm besprechen. Das Problem ist, dass viele sie in Manipal kennen und es keinen Ort gibt, an dem sie sich anonym treffen könnten. Und wer würde schon für so eine schmachvolle Verbindung sein Haus zur Verfügung stellen.
Nun war ihre Idee, dass sie sich in meiner Wohnung treffen. Ich war sofort einverstanden. Schlimm genug, dass sie diese verzwickte Situation über Jahre hinweg ertragen muss – ich wollte irgendwie helfen. Am liebsten wäre ich zu dem Vater gegangen und hätte mit ihm geredet. Aber das ist sicher nicht besonders förderlich. Was zieht er denn auch so eine moderne und selbstbewusste Tochter heran. Prajna lies mich wissen, dass ich ihr Haus nie mit meinem Freund betreten dürfte, da wir nicht verheiratet sind. Es dürfen nur Mädels in das Haus. Da kommt man sich echt hilflos vor bei soviel starsinnigen Traditionen.
Prajna war jedenfalls überglücklich über diese neu eröffnete Möglichkeit. Zwei Sitzplätze im Vorraum würden ihr reichen, alle anderen Zimmer sollen wir abschließen. Aber ich vertraue Prajna hundertprozentig. Sie ist so eine liebenswerte, hilfsbereite Person – modern & weltoffen, aber gleichzeitig so gehemmt.
Schließlich sagte sie noch, dass wenn ich Hilfe bräuchte oder mal wieder mit ihrem Motorrad gefahren werden möchte – jederzeit. Das musste ich jetzt auch schon mehrere Male in Anspruch nehmen (dazu aber mehr in einen anderen Blogeintrag). „Ich möchte, dass du glücklich bist.“, sagte ich ihr zum Schluss.
Natürlich versprach ich niemanden davon in der Firma zu erzählen. Martin dürfte aber alles wissen. Ich rief ihn an, dass ein Pärchen zu uns in die Wohnung kommen wird und er seine Mittagspause an diesem Tag wenn möglich in der Uni verbringen soll.
Der besagte Tag wurde akribisch vorbereitet. Prajna begleitete mich nach Hause. Ich zeigte ihr den Weg, das Haus, die Wohnung und wie man auf- und zuschließt. Sie war unglaublich aufgeregt – das ist gut nachzuvollziehen. Am nächsten Morgen kam sie dann gegen 10 an meinen Platz und ich übergab ihr heimlich meinen Schlüssel. Als ich nach der Arbeit nach Hause kam, hatte das Pärchen bereits ungeduldig auf mich gewartet. Ihr Freund, ein großer etwas zurückhaltender Mann hatte nämlich einen Anruf erhalten. Er müsse dringend zurück, da ein wichtiges Interview auf Arbeit angesetzt wäre. Beide verließen wieder getrennt die Wohnung. Als „kleines“ Dankeschön überreichten sie uns noch eine große Tüte mit Leckereien.
So kam es an diesem Tag zu keinem Aufeinandertreffen mehr - aber ich halte euch auf dem Laufenden.


Liebe Pärchen, seid froh, dass ihr euch haben dürft!
Liebe Singles, seid froh, dass ihr euch einen Partner suchen dürft!



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