Donnerstag, 31. März 2011

24/ Verlobt


Samstagnacht 23.15 Uhr bekamen wir eine SMS von unserem Vermieter. Er lud uns zur Verlobungsfeier seiner Tochter am nächsten Tag ein. Verlobungen (Engagement) finden traditionell bei der Familie der zukünftigen Braut statt.
Wir hatten noch keinen festen Plan für Sonntag und sagten zu – spontan wie wir sind. Die Inder bezeichnen solchen Anlässe auch gerne als „Function“. Frauen putzen sich besonders heraus mit ihren edelsten Saris, Schmuck, Blumen etc.
Den Sonntag begannen wir mit einem ausgiebigen Frühstück im FoodCourt. Das würden wir später noch bereuen. Das Internet funktionierte mal wieder nicht, also blieb uns nur übrig die Wohnung sauber zu machen. Um 1 sollten wir dort sein. Etwas verspätet – wir werden immer indischer – machten wir uns auf den Weg nach Udupi. Dort kauften wir noch einen Lappen – in ganz Manipal sind solche Dinger einfach nicht aufzutreiben.
Udupi hat zwei groβe Busbahnhöfe mit je ca. 25 Bussen – wir fragten uns an beiden durch. Schließlich erreichten wir den richtigen Express Bus. Er war schon fast voll, nur die hinterste Reihe war leer. Wenig später war mir klar warum. In Deutschland sind die hintersten Plätze ziemlich begehrt. In Indien sind sie für Menschen mit schwachen Mägen nicht zu empfehlen. Die Fahrt erinnerte mich an eine Mischung aus Achterbahn und Formel 1. Der indische Bus scheint ja im Gegensatz zu seinen deutschen Brüdern immer der schnellste sein zu wollen. Er rast ohne Rücksicht auf Verluste die Straßen entlang und lässt alle anderen hinter sich. Der Stärkere gewinnt - selbst Autos ziehen da den Kürzeren und müssen bitteschön Platz machen. Die Straßen sind natürlich mit Löchern gepflastert, so dass auf den hinteren Plätzen Springreiten simuliert wird. Ab und zu verliert man Boden unter den Füßen und fliegt in sauerstoffärmere Höhen. Vielleicht schafft man es gerade noch sich irgendwo festzuhalten. Einige Sekunden später landet man wieder unsanft auf seinem Sitz. Das ist Abenteuer pur und eine der preisgünstigsten Rummelattraktionen mit unübertreffbarer Aussicht.
Ein indisches Talent scheint auch zu sein, dass sie millimetergenau Abstände zu anderen Verkehrsteilnehmern einschätzen können. Oder sie sind nur extrem waghalsig und haben keine Angst vor Schrammen. Immer mal schiebt sich ein Lufthauch entfernt ein anderer Bus an uns vorbei.
Mein persönlich größtes Übel dieser Busfahrt waren die zwei Fernseher im vorderen Teil. Es lief irgendein grässlicher alter Bollywoodstreifen – die Sprache verstand ich nicht. Dämlicher Humor wechselte sich mit schlechten Actionszenen ab. Der Ton war so laut, dass man fast gewillt war die Ohren zuzuhalten. Die Laustärke erzwang förmlich die Aufmerksamkeit aller Fahrgäste. Alle Generationen blickten gefesselt auf diesen blöden Bildschirm. Ich war wohl die Einzige, die sich an der interessanten Landschaft samt Bewohnern erfreute.


Nach ungefähr 20 Minuten gab man uns ein Zeichen und wir stiegen am Mabukala Stop aus. Der Sohn unseres Vermieters wartete schon im Auto auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Er ist Matrose und berichtete stolz, dass er auch schon in Kiel und Frankfurt gewesen wäre. Am Haus der Familie angekommen, hieß es wieder Schuhe ausziehen. Wir betraten das mit Zeltplanen überdachte und mit Teppich ausgelegte Gelände. Mehrere hundert Augenpaare waren auf uns gerichtet – mir fielen gleich die unzähligen Kinder auf.
Wir schienen etwas zu spät zu sein, denn die Zeremonie war vorbei. Das Paar stand aber (wie zur Hochzeit) noch auf dem Podest. Sogleich wurden wir für ein Foto hinauf gebeten. 


Dann ging es an der Menschenmenge vorbei ins Haus. Wir wurden etlichen Verwandten vorgestellt, nickten allen lächelnd zu oder begrüßten sie mit „Namaste“. Dann sollten wir am Esstisch Platz nehmen. Alle anderen speisten draußen. Uns wurde eine leckere Speise nach der anderen serviert. Wir bekamen sogar einen Löffel dazu und teure Pepsi. Einer der Verwandten leistete uns immer Gesellschaft – also er beobachtete uns beim Essen oder stellte Fragen. Wir berichteten woher wir kamen, was wir hier machen etc. Sie wollten unsere Teller wieder füllen, dabei platzten wir schon (auch dank dem Frühstück). Das nächste Mal, wenn wir zu einer „Function“ eingeladen sind, werden wir vorher nichts essen. 


Danach zeigte man uns das Haus. In jedem kleinen Raum saßen Menschen. Überall liefen Kinder herum. Alle waren im schicken indischen Stil gekleidet. Durch die Saris hat man bei vielen Frauen direkt Einblick auf die dicken Bäuche (besonders bei den älteren Frauen). Das ist gewöhnungsbedürftig für das europäische Auge. Da wo Westler mal keine Haut zeigen, macht es den Indern wiederum nichts aus. Naja, anderes Land, andere Kultur.
Nachdem unser Vermieter festgestellt hatte, dass wir dick geworden sind – ich dachte zuerst ich hätte mich verhört – schickte er uns raus zu einem Spaziergang am Wasser.

riesige Muschelhaufen

Sonntagnachmittags-Schläfchen
Wenigstens Eine hellwach
Indische Fischernetz-Hängematte
tot

Als wir wieder zurück kamen, hatte sich die Feiergesellschaft schon etwas aufgelöst. Die Familie des zukünftigen Bräutigams sei schon gegangen, sagte man uns. Wir unterhielten uns mit einem Verwandten, der in Russland (bei Kasachstan) arbeitet und sehr gutes Englisch sprach. Er erzählte auch, dass die Russen große Probleme mit dem Englischen haben bzw. es einfach nicht versuchen würden.
Nach diesem schönen Plausch wollte Martin langsam gehen, wusste aber nicht genau wie er das andeuten sollte. Ich fragte noch nach einer typisch indischen Süßigkeit zum Naschen – da brachte mir die Frau einen großen Beutel vollgepackt mit zuckrig-buttrigen Leckereien zum Mitnachhausenehmen. Ihre Gastfreundschaft und Herzlichkeit kennt wirklich keine Grenzen. Wir bedankten uns mehrmals und sie antworteten „It’s a pleasure for us.“.
Schlechtes Gewissen brauchen wir diesmal aber nicht haben, schließlich haben wir das Fest indirekt mitfinanziert. Geld ist ja in Indien nicht so ein Tabuthema wie in Deutschland. Deswegen wurde ich schon öfters gefragt wie viel Miete ich bezahle. Als ich den Betrag nannte, fielen selbst meine Chefs fast in Ohnmacht. Es sei viel zu viel, auch wenn wir eine Klimaanlage in der Wohnung hätten. Naja, wer hätte das von Deutschland aus wissen können. Wenigstens haben wir ein Dach übern Kopf und die Tochter unseres Vermieters eine besonders schöne Hochzeit. Die wird dann in zwei Monaten stattfinden – ich freue mich schon drauf.

Dienstag, 29. März 2011

23/ Unsere Probleme in Indien


Problem 1: Stromausfall

Während wir Januar bis Mitte Februar weitgehend verschont blieben, sind wir seit dem fast täglich geplagt. Wenn man die Leute hier nach den Gründen fragt, erhält man keine klare Antwort - höchstens zig verschiedene Mutmaβungen. Die plausibelste Antwort scheint mir zu sein, dass es einfach nicht genügend Strom gibt. Während in Deutschland im Winter der Bedarf an Strom wächst, sind es in Indien die Sommermonate. Sind die Ventilatoren und Klimaanlagen schuld? Oder ist es im Sommer schwerer ausreichend Strom zu produzieren?
Angeblich sind einige der Stromausfälle staatlich gesteuert. Demnach soll einmal am Tag, aber zu unterschiedlichen Zeiten, der Strom abgestellt werden - als Sparmaßnahme sozusagen. Noch eine Theorie: Die Bundesregierung in Neu Delhi soll angeblich manche Staaten bei der Stromverteilung diskriminieren und andere Bundesstaaten bevorzugen, die von der Zentralregierung näher stehenden Parteien regiert werden.
Für uns Deutsche sind die massiven Engpässe bei der Energieversorgung schwer nachvollziehbar. Ich ging davon aus, dass Wasserknappheit das drängendere Problem sei. Aber schon ein Blick auf unsere monatliche Abrechnung, befreit von diesem Denkfehler. Das Wasser gibts hier fast umsonst. Läuft man durch die Stadt, entdeckt man viele Stellen, um Leitungswasser zu trinken. Der Blick auf die Stromrechnung lässt einen eher in Ohnmacht fallen. Dazu kommt, dass wir es mittlerweile in der Wohnung nicht mehr aushalten ohne 24 Stunden den Ventilator und immer wieder die Klimaanlage laufen zu lassen. Die nächste Stromrechnung wird zitternd erwartet. Das schlimmste am Stromausfall der letzten Wochen war, dass unser "Inverter" (selbstladende Batterie am Stromnetz, die bei Stromausfall wenigstens für ein paar Stunden Strom bereitstellt) nicht funktionierte und der Stromausfall immer abends war. Meist noch kurz bevor wir unser Abendbrot in die Mikrowelle schieben wollten. Da hockt man in der dunklen schwülen Wohnung wie ein Steinzeitmensch. Geht man raus an die ebenso schwüle Luft, ist es auch stockdunkel. Wenn man nicht aufpasst, könnte es passieren, dass man in ein Loch purzelt, über Tiere stolpert oder in Kollision mit anderen Verkehrsteilnehmern gerät.
Nach tagelangen nervenaufreibenden Versuchen unseren Inverter reparieren zu lassen, funktioniert er jetzt endlich wieder. Allerdings nur, wenn wir unseren Kühlschrank vom Netz nehmen – die Batterieleistung ist nämlich zu schwach.


Problem 2: PC & Internet

Wer mit dem PC arbeitet, braucht eine ausfallsichere, unterbrechungsfreie Stromversorgung. Wir haben uns extra einen leistungsstarken Akku gekauft. Vielleicht lag es am Überhitzungsproblem des Laptops – auf jeden Fall war er plötzlich tot und nichts mehr zu machen. Das letzte bisschen Lebensstandard war uns entzogen worden. Wir fürchteten um unsere essentiellen Daten. Dank eines netten Klassenkameraden von Martin funktionierte er aber am nächsten Tag wieder einwandfrei.
Wir haben also jetzt einen funktionierenden PC und wir haben Strom. Da freut man sich wieder wie ein Kind. Das reicht zum Überleben für die kommenden Monate. Jetzt kann uns nichts mehr erschüttern. Falsch gedacht! Da blinken ein paar Lichter zu wenig am Modem. Ahhhhh, unser Internet geht nicht. Keiner weiβ warum - manchmal ist es einen Tag lang weg und nur ein paar Minuten verfügbar. Mein Blog verhungert. Liebe Menschen warten vergeblich an der Heimatfront auf erfrischende Skype-Konversationen. Martin leidet ohne News von SpiegelOnline. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Dabei haben wir im Voraus soviel Geld für das bestmögliche Internet bezahlt, dass es fast für ein Jahr reichen würde.


Problem 3: Kühlschrank

Unser gebrauchter, aber lebensnotwendiger Kühlschrank war bisher unsere teuerste Anschaffung. Er hat uns jetzt schon das zweite Mal im Stich gelassen. Reparaturen ziehen sich ja hier über Tage hin. Man bekommt gesagt, heute wird jemand vorbei schauen. Dann kommt er hoffentlich mal morgen. Dann schaut er und geht wieder. Am nächsten Tag erzählt er uns woran es liegt. Wieder ein bis zwei Tage später nimmt er den Kühlschrank mit. Zwei Tage danach bekommt man ihn hoffentlich repariert wieder zurück. So, bis dahin ist sämtlicher Inhalt ungenieβbar und das Stück Butter hatte sich schön auf alle Etagen des Kühlschranks verteilt. Wir haben den Kühlschrank weniger als zwei Monate und mit den beiden Reparaturen bis jetzt noch mal den halben Einkaufspreis investieren müssen. Mal sehen, wann die nächste Reparatur ansteht. Obwohl jetzt so gut wie jedes Teil an dem Ding ausgetauscht ist.


Problem 4: Hitze

Es wird wärmer und wärmer. Schon früh halb 9 ist es unerträglich schwül. Wenige Minuten an der Sonne – und es kommt zu Schweiβausbrüchen. Kurze leichte Kleidung würde es vielleicht ertragbarer machen. Nur ist das einzige Körperteil, das hier nicht bedeckt ist, meist der Arm (ohne Schulter). Ich muss mich dem allgemeinen Kleidungsstil zwar nicht unbedingt anpassen, doch mache ich das mittlerweile freiwillig. Denn auf Arbeit herrschen gefühlte 10 Grad dank leistungsstarker Klimaanlage. Das heiβt frieren, frieren, frieren – ich erleide regelmäβig Kälteschocks. Bin ich froh, wenn ich dann zur Pause in die nur mit Ventilatoren belüftete stickige Cafeteria darf. Mitterweile habe ich eine Jacke am Arbeitsplatz. Aber scheinbar hat sie nicht geholfen. Ich habe mir tatsächlich im heiβen Indien bei 35 Grad einen Schnupfen geholt.


Problem 5: Tiere

Gut gelaunt ging ich letztens früh morgens aus der Tür. Da begrüβte mich doch im Treppenhaus eine tote Maus. Fast wäre ich drauf getreten. Bei solchen Begegnungen läuft es mir immer kalt den Rücken herunter. Obwohl eine tote Maus noch eines der kleineren Übel ist. Doch meine Gute-Morgen-Laune war angekratzt. Diese Tiere sterben aber auch wo sie wollen – ohne Rücksicht auf Verluste. Nachmittags bin ich auf dem Nachhauseweg gerade noch so einer toten grünen Schlange ausgewichen.
Regelmäβig dürfen wir an unseren Fensterscheiben echsenartige Tiere begrüβen. Martin beichtete mir jetzt, dass vor meiner Zeit so ein Vieh sogar in unserer Wohnung verkehrte. Und wir leben im dritten und letzten Stock des Hauses! Leider haben wir in der Küche ein groβes Loch in der Wand für den Ventilator. Keine Ahnung, warum da nicht mal ein Gitter angebracht wurde. Ameisen und Mücken sind hier wohl die kleinsten, aber nervigsten Probleme.



Problem 6: Lärm

An Straβenlärm, Hundebellen und Musikbeschallung aus den Nachbarwohnungen haben wir uns ja bereits gewöhnt. Aber seit einigen Tagen haben wir einen neuen Wecker. Er ist nur etwas überehrgeizig und weckt uns meist 2 Stunden vor unserem Handywecker. Leider kann man ihn auch nicht ausschalten, so dass uns ein extrem lautes durchgängiges Dröhnen aus dem Bett jagt. Das passierte auch schon abends und nachts, wenn wir uns gerade in der Einschlafphase befanden. Lange rätselten wir rum, was es sein könnte. Wir kamen zu dem Schluss, dass es irgendeine Maschine, wahrscheinlich auf dem Dach sein müsste. Da der „Hausmeister“ hier kein Wort Englisch versteht, wurden unsere Augenringe immer gröβer. Als es mal wieder abends los ging, begab Martin sich auf Spurensuche und er wollte erst wieder kommen, wenn er dem Übeltäter den Garaus gemacht hatte. Einige Zeit später kam er wieder und berichtete mir triumphierend, dass es sich um unseren Nachbarn handele. Dort war das Geräusch nämlich am lautesten zu vernehmen. Martin fragte ihn: „Hörst du das Geräusch auch?“ Da antwortete der doch tatsächlich: „Welches Geräusch?“ Es handelte sich um dessen Klimaanlage, die irgendwie kaputt und deshalb viel zu laut war. Wir baten ihn diese nicht zu unmenschlichen Zeiten anzuschalten. Einmal mussten wir noch gegen die Wand hämmern, danach trat es nicht wieder auf.


Das klingt nach vielen Problemen und diese zu beseitigen ist meist noch nervenraubender. Aber ich will mich nicht beklagen. Ich fühle mich hier sehr wohl und bin richtig heimisch geworden. Mit Martin an meiner Seite gleicht es schon einem Paradies.



Samstag, 26. März 2011

22/ Deutschland vs. Indien


Der Test

Letztens habe ich mit meiner kleinen, aber feinen deutschinteressierten Klasse ihren ersten Test geschrieben. Ich musste den Test ein paar Mal verschieben wegen unvollständiger Anwesenheit. Irgendwann hatte ich dann endlich von jedem die 2 ausgefüllten Seiten. Der Test erhitzte die Gemüter und war einige Zeit Gesprächsthema Nummer 1. Sie zweifelten beispielsweise gerne lautstark an der Deutsch-Kompetenz des anderen. Der Test schien ihnen wichtig, denn ich wurde ständig nach den Ergebnissen gefragt oder ob sie bestanden hätten. Mehrfach musste ich sie auf die nächste gemeinsame Unterrichtsstunde vertrösten. Dann behauptete ein Chef auch noch, dass der andere Chef gemogelt hätte. Was so ein Test nicht alles anrichten kann. :)
Dieser bestand aus zwei Teilen: Fakten über Deutschland allgemein und die sprachlichen Aufgaben. Wesentliche Fehler: Die Tschechische Republik ist kein deutschsprachiges Land und der deutsche Schäferhund ist nicht auf unserem Wappen zu sehen.
Insgesamt konnten sie 103 Punkte erreichen. Laut deutschem Notensystem fiel der Test ausgewogen aus, mit Noten von 2 bis 5. Dass mein Chef nur zweitbester nach Sweta war, war für ihn schwer zu ertragen. Er behauptete, sie hätte einfach viel mehr Zeit als er. Ach ja, Lachen ist im Deutschunterricht vorprogrammiert.
Als kleine „Belohnung“ für den absolvierten Test habe ich ihnen einen Videoclip gezeigt. In diesem wird Indien mit Deutschland verglichen. Das Video zeigt aber die deutsche Sicht und ist teilweise etwas überspitzt dargestellt. Nichtsdestotrotz sagt es einfach mehr als tausend Worte und meine Schüler sind ja zum Glück humorvoll. Danach drohte mir der Chef allerdings scherzhaft mit: „Punishment“.


Der Unterricht

Ich habe einen neuen Schüler in meiner Klasse begrüβen dürfen. In kürzester Zeit hat er den ganzen Stoff aufgeholt und mich eifrig mit Fragen gelöchert. Unglaublich, aber jetzt ist er Klassenbester. Es ist gar nicht so einfach mit einem Spitzenkandidaten. Er will alles bis ins kleinste Detail wissen und wenn ich Fragen stelle, ist er meist der Antwortende. Beispielsweise hatte ich die Zahlen noch nicht im Unterricht behandelt. Da präsentierte er mir letztens stolz alle Zahlen von 1 bis 10 in seinem Heft und las sie sogleich mit fast korrekter Aussprache vor. Um sich die Aussprache der einzelnen Wörter besser einprägen zu können, hilft ihm das Sanskrit-Alphabet. Mit ungefähr 50 Buchstaben lassen sich damit bestimmt leichter Laute verschriftlichen als mit den 26 Buchstaben des lateinischen Standard-Alphabets. Ende April wird er dann einen Monat in den USA sein. Er hat mir schon angekündigt, dass ich mich auch in dieser Zeit auf Fragen und deutsche Skype-Konversationen einrichten kann.
Bei den deutschen Skype-Unterhaltungen musste ich allen öfters predigen nicht den Google Translator zu benutzen. Damit prägen sie sich nur falsche Sachen ein und sind noch mehr verwirrt.

Schwierig ist für meine Schüler sich mit der Groβschreibung im Deutschen anzufreunden. In „Guten Morgen“ schreibt man „Morgen“ groβ, aber in „Bis morgen!“ klein. Ebenso werden uns die Unterschiede in der Aussprache und der damit verbundenen Schreibweise noch lange begleiten und viel Übung benötigen. Statt „Guten Morgen.“ schreiben sie zu gern „Guten Morgan.“.
In Indien wird gerne „Sir“ oder „Mam“ benutzt, um eine Respektsperson anzusprechen. Das gibt es im Deutschen nicht. Wir sagen nur Herr Soundso. Lustig ist es, wenn sie mich „Frau Sabine“ nennen.
Kompliziert sind auch die vielen deutschen Formen von „you“: du & Sie im Singular und ihr & Sie im Plural. Duzen und Siezen von Indern ist nicht immer ganz so einfach. Einer meiner Schüler heiβt beispielsweise „Shivaprasad“. Das ist sozusagen Vor- und Nachname in einem Wort.
Als wir bei dem Verb „heiβen“ waren, wollte einer gerne wissen, was „What’s the name of the boss?“ auf Deutsch heiβt. Ich musste sogleich innerlich grinsen, als ich an die Tafel schrieb: „Wie heiβt der Chef?“. Das Wort „Chef“ gibt es nämlich im Englischen auch, dort bedeutet es allerdings „Koch“. Ihr könnt euch sicher denken, was für einen Spaβ sie jetzt hatten und immer wieder fragten „Wie heiβt unser Chef (Koch)?“. Antwort: „Unser Chef (Koch) heiβt Mr. Desai!“.

Wenn ich ihnen Wissenwertes über Deutschland erzähle, vergleiche ich das gerne mit Indien:
Mit 81,8 Milionen Einwohnern ist Deutschland zwar Europas bevölkerungsreichstes Land, steht aber weltweit nur auf Platz 15. Wohingegen Indien mit seinen 1,2 Milliarden Bewohnern nach China das weltweit zweit bevölkerungsreichste Land ist.
In einer anderen Stunde berichtete ich meinen Schülern über Deutschlands Demografieproblem. Schlieβlich haben wir eine der geringsten Geburtenraten der Welt und unsere Bevölkerung wird (abhängig von der Einwanderungsrate) bedeutend sinken. Indien ist wieder mal das komplette Gegenteil. Während China ein Durchschnittsalter von 35 Jahren hat, kann Indien mit einem unter 25 Jahren glänzen. 



Punkten können wir allerdings mit unserer Alphabetisierungsrate von 99 %. Indien hat nur 64,8 %, wobei 75,3% auf die Männer und 53,7 % auf die Frauen fallen.

Die gröβte nationale Gruppe mit Migrationshintergrund in Deutschland ist die Türkei (2,5 Millionen), gefolgt von Italien (776.000) und Polen (687.000). Das sind ziemlich wenige, wenn man dagegen vergleicht wie viele „Deutsche“ sich in anderen Ländern rumtummeln. Menschen mit voller oder erheblicher deutscher Abstammung sind vorrangig in den USA (50 Millionen), Brasilien (5 Millionen) und Kanada (3 Millionen) zu finden.

Im Gegensatz zu indischen Metropolen sind unsere gröβten Städte eher kleine Dörfer. 



Während die Inder mehrere Sprachen beherrschen müssen, um sich untereinander zu verständigen, sind die Deutschen scheinbar nicht so vielfältig. 67% geben an in einer oder mehr Fremdsprachen kommunizieren zu können. Nur 27% sind fähig in mindestens zwei anderen Sprachen zu sprechen.


Jeden Tag freue ich mich erneut auf meine Klasse. Laut Martin können sie jetzt schon besseres Deutsch sprechen als die Studenten an der Uni.
Und liebe Deutsche, lernt Sprachen!


Freitag, 25. März 2011

21/ Sprachenwirrwarr


Bezüglich der Sprache kommt Indien Babel so nahe wie kein anderes Land der Welt. Es gibt keine "indische" Sprache an sich, was teilweise erklärt, weshalb Englisch auch ein halbes Jahrhundert, nachdem die Briten Indien verließen, immer noch vielerorts gesprochen wird.
Es gibt hier 179 Sprachen und 544 Dialekte. Hindi und Englisch sind die offiziellen Sprachen. Wenn sich Menschen unterschiedlicher Sprachgemeinschaften begegnen, sprechen sie im Norden entweder Hindi oder Englisch miteinander, im Süden eine der dravidischen Sprachen oder Englisch.
Es sind größere Anstrengungen unternommen worden, Hindi als Nationalsprache zu fördern und Englisch allmählich zu verdrängen. Ein Hindernis besteht darin, dass Hindi zwar die vorherrschende Sprache im Norden ist, es aber wenig Ähnlichkeit mit den dravidischen Sprachen im Süden hat. Im Süden sprechen nur sehr wenige Menschen Hindi. Die indische Oberschicht hält am Englischen als gemeinsame Sprache der gebildeten Elite fest. Sie verteidigt Englisch einerseits als Statussymbol, andererseits als Schlüssel zur internationalen Geschäftswelt.

Dass nur eine privilegierte Minderheit der Bevölkerung perfekt Englisch spricht, wird mir zunehmend bewusster. Es muss ja einen Grund haben, warum es mir mit manchen Arbeitskollegen leichter fällt zu kommunizieren als mit anderen. Wenn ich mich mit Priyanka unterhalte, ist das schon fast ein linguistischer Urlaub. Sie spricht nicht nur gut Englisch. Sie stellt sich auf mich ein, wiederholt das Gesagte gerne noch mal oder erklärt mir unbekannte Wörter. Neulich hat sie sogar als erste und einzige hier in Indien angefangen mich auf einen Fehler aufmerksam zu machen. Nichtsdestotrotz behauptet sie, dass ich zweifellos besser Englisch sprechen würde als die meisten hier. Wenn ich nicht wüsste, dass Priyanka immer offen und ehrlich zu mir ist, würde ich das bezweifeln. Oder überschätze ich die Inder? Vielleicht liegt es nicht am starken Akzent, dass ich sie oftmals schwer verstehe, sondern am mittelprächtigen Englisch? Da sie Englisch dennoch regelmäβiger anwenden, als der Durchschnittsdeutsche ist zumindest ihr Vokabular ausgereifter.

Die Problematik Sprache wird weiterhin mein täglicher Begleiter sein. Es fängt schon bei meinem Namen an. „Sabine“ kann hier niemand so richtig aussprechen. Deswegen rufen mich hier alle „Sabina“ oder „Sabin“.
In den Pausen sprechen die Mädels an meinem Tisch vornehmlich „Tulu“. Mittlerweile habe ich den Gedanken aufgegeben es vom einfachen Zuhören zu lernen. Sie waren aber so freundlich und haben mir ein paar Vokabeln beigebracht. Wenn sie mich beim Essen fragen „Boda?“ (Möchtest du?), antworte ich entweder „Bodchi“ (Ich möchte nicht.) oder „Bodu“ (Ich möchte.). Sri wollte, dass ich die anderen am nächsten Morgen mit Tulu überrasche. Sie brachte mir bei: „Encha Ollar? (Wie geht’s?) und „Bakha yenchina vishesha“. Ich flüsterte das solange vor mich her, bis ich mir zutraute es mir bis zur nächsten Pause merken zu können. Als dann alle am Tisch saβen, legte ich los. Sie machten groβe Augen und verfielen anschlieβend in groβes Gelächter. Da ich jeden Tag Bus fahre, konnte ich auch mit sämtlichen Vokabeln glänzen, die der Geldeinsammler immer laut ausruft.
Einmal zeigte eine Kollegin auf mein Essen und sagte: „Sol“. Ich bat sie es zu wiederholen, weil ich dachte, ich hätte irgendetwas dem Wort Sinngebendes überhört. Wieder „Sol“. Dann wiederholte eine andere für sie noch einmal. Irgendwann wurde mir klar, dass sie „Salt“ meinten. Ich kombinierte: Sie wollen mir sagen, dass die Suppe salzig ist. Aha!
Wenn ich aber mit meinem tollen Schulenglisch laut und deutlich, mit nahezu perfekter Aussprache etwas zum Besten gebe, muss ich regelmäβig beobachten: Viele verstehen es beim ersten Mal nicht sofort und die, die es verstanden haben, müssen es für die anderen in ihrer Sprache übersetzen. Das ist harter Tobak für mein englisches Selbstbewusstsein.

Besonders lustig ist es, wenn eine meiner indischen Arbeitskolleginnen an meinen Schreibtisch kommt und mir fragend über die Schulter schaut: „Busy?“ Ja was soll man denn da antworten?  Manchmal scheinen Fragen wichtiger als die Antworten (wie die Frage, ob ich gegessen habe). Oder wenn ich mich mit ihnen unterhalte und in jedem Gespräch sagen sie dann irgendwann: „Then!?“ Ich frage mich dann immer: Kommt es jetzt noch was? Man kann doch nicht einfach so „Then“ in den Raum werfen. Nein, es folgt meist eine lange Pause des Nichtssagens. Es liegt dann an mir das Gespräch wieder aufzunehmen. Ich habe mir jetzt sagen lassen, dass es bedeuten soll: Und was gibt es sonst noch Neues? Diese Inder! Also auf mich wirkt das „Then“ eher gesprächsbeendend und es brachte mich bisher meist völlig aus dem Konzept.
Für Missverständnisse sorgte auch schon der Satz „Shall I move?“, den Sri zu gerne benutzt. Der Deutsche würde das als „Soll ich gehen?“ deuten und antworten „Nein.“. Der Inder möchte damit aber ausdrücken, dass er gerne gehen möchte. Das kann einen in echte Schwierigkeiten bringen. Einmal habe ich auf diese Frage ausweichend geantwortet: Mach, was du gerne möchtest.“. Ich habe daraus gelernt und sage jetzt immer „ja“, wenn Sri mich mal wieder fragt „Shall I have one“?. Dann hätte sie gerne ein Stück von meinem Essen.

Letztens waren Martin und ich mal wieder bei unserem Lieblingseismann. Diesmal standen zwei Frauen hinter dem Tresen. Nach einem köstlichen Eis wollten wir noch ein Stück Butter mitnehmen. Doch bei dem Wort „Butter“ (natürlich Englisch ausgesprochen) schauten sie uns an, als hätten wir gerade einen Ölwechsel von ihnen verlangt. Wir wiederholten im besten Englisch: „Butter!“ Es blieb dunkel in den Köpfen. Wir zeigten in die Richtung des Schildes im Laden, wo klar und deutlich „Butter“ mit Grammangaben und Preis verzeichnet waren. Jetzt waren die Damen endgültig verstört. Als Martin nach dem 5. Mal „Butter“ immer verärgerter wurde, kam uns plötzlich ein Mann zur Hilfe. Er fragte uns, was wir denn haben möchten. „Butter.“ Der Mann wusste sofort bescheid und sagte zu den Damen ebenfalls: „Butter“. Auf einmal reagierten sie und wir bekamen unser langersehntes Stück Butter.

Dieses lustige Sprachengezwitscher muss man einfach live erleben. Englisch ist eben nicht ihre Muttersprache und meine auch nicht. Englisch und ich - wir nähern uns zusehens an. Komischerweise hilft mir dabei besonders mein Deutsch-Unterricht.



Dienstag, 22. März 2011

20/ Holi - Das Fest der Farben


Holi ist ein lautes und fröhliches Straßenfest, mit dem der Frühlingsanfang gefeiert wird. Es ist das populärste und farbenprächtigste indische Fest – seit meiner Ankunft hier in Indien habe ich diesem Tag entgegen gefiebert.
An Holi wird ein Feuer entzündet. Diese rituelle und symbolische Verbrennung geht auf eine Legende zurück, in der es um einen Streit um die "richtige" Religion ging, der zwischen dem Prinzen Prahlada und dessen Vater ausgetragen wurde. Prahlada verehrte Vishnu, während sein Vater einen Dämonenglauben praktizierte. Der Streit konnte nicht beigelegt werden und schließlich sollte mit Hilfe des Feuers entschieden werden, welche Religionsausübung die richtige sei. Prahlada musste mit Holika (in einer Version die Schwester des Königs, in einer anderen Version ein weiblicher Dämon) einen Scheiterhaufen besteigen. Zunächst sah es so aus, als würde Holika diesen "Religionskampf" gewinnen, da sie durch einen Zauber beschützt wurde. Jedoch kam der Vishnu dem Prinzen Prahlada zu Hilfe und Holika verbrannte.
Holi wird in Nordindien besonders ausgiebig gefeiert. Bei uns in Manipal würden nur die Studenten das Fest der Farben zelebrieren, erklärten mir meine Arbeitskolleginnen.
Ganz blauäugig sollte man das Fest der Farben nicht zelebrieren. Dank Internet und Tipps erfahrener Holibesucher waren wir gut informiert. An diesem Tag sollte man unbedingt alte und wenn möglich auch lange Klamotten tragen. Mit T-Shirt und Jogginghose von Martin war ich bestens ausgerüstet. Die noch freien Körperstellen wurden sorgfältig eingecremt.
Gegen halb 10 standen wir auf einer riesigen Grünfläche. Wir schienen die Ersten zu sein. Kurze Zeit später tauchte eine mit bunten Farben beschmierte und Wasserpistolen bewaffnete Jungstruppe auf. Fröhlich ausgelassen bis angriffslustig gaben sie sich Farb- und Wasserschlachten hin.  Ich fürchtete jeden Moment Teil davon werden zu müssen, aber sie hielten sich vorerst noch zurück. Ein Wasserhahn auf dem Platz sollte Mittelpunkt der Geschehnisse werden. Dort wurden die Wasserpistolen aufgefüllt, Farben angemischt und wilde Schlachten zelebriert. Es war ein Drahtseilakt gleichzeitig nah dran am Geschehen zu sein, um alles mit meiner Kamera festzuhalten, und dabei nicht von Farb- und Wasserwerfern erwischt zu werden. 

 
Doch dann sah ich eine knallbunte farbverschmierte Mädelstruppe auf das Gelände kommen und ich ahnte Schlimmes. Hatten die Männer mich bis jetzt in Ruhe gelassen, steuerten die Mädels beim Anblick einer noch „Unbefleckten“ direkt auf mich zu. Zwar fragten sie eher rhetorisch, ob es mir etwas ausmachen würde - dann wurde ich voll eingeseift. Ich wusste ja, dass ich nicht drum herum kommen würde. Schließlich wünschten sie mir noch ein „Happy Holi!“.

 
Martin stürzte sich ins bunte Getümmel. Ich versuchte alles festzuhalten ohne meine Kamera zu sehr zu gefährden. Das gelang mir bis mich die kleinen Jungs ins Visier genommen hatten. Sie hielten etwas in ihrer Hand und deuteten an, mich damit bewerfen zu wollen. Ich hielt es für eine Wasserbombe und drehte ihnen vorsichtshalber lieber den Rücken zu. Es vergingen noch einige Sekunden - dann ein lautes Geräusch des Aufpralls und ich verspürte an meinem Rücken einen stechenden Schmerz. Hatten die mich doch tatsächlich aus nächster Nähe mit einem Ei beworfen! Doch ihre Absicht misslang. Das Ei zerplatzte erst als es auf dem Boden aufprallte. Ich erholte mich noch von dem Schock, da sah ich wie einer der Jungs Martin ein Ei mit voller Wucht auf den Kopf schlug. Bereitwillig ließ er es über sich ergehen und präsentierte anschließend seine schleimige Gelfrisur.

Martin wird mit der Wasserpistole beschossen
 
Es kamen immer mehr Leute. Mit kindlicher Freude gaben sie sich den Farb- und Wasserspielen hin. Bei den meisten konnte man kaum noch die ursprüngliche Haut- oder Haarfarbe erkennen. Da sind wieder alle Menschen gleich.
Die strengen Kastenregeln des Hinduismus sind zu Holi zeitweise ganz aufgehoben. Es ist der Tag im Jahr, an dem man über die Stränge schlagen darf. Alle Schranken durch Geschlecht, Alter und gesellschaftlichen Status scheinen erloschen.


Viele verpassten uns immer wieder neue Gesichts- und Haarfarben oder wir wurden mit Wasser überkippt. Die trockenen Farben leuchten bunt und sind leicht loszubekommen. Die nassen kleben wie eine zweite Haut.
Ein pinker Mensch namens Martin stand plötzlich vor mir. Pink war neben einem sehr dunklen Blau die vorherrschende Farbe auf dem Platz. Martin startete mehrere Versuche auf eine andere Farbe umzuschwenken - es blieb bei seiner schönen pinken Grundierung. 


Dann musste ich beobachten wie es unter Männern Ritual ist einen in ihrer Mitte komplett einzuseifen und dabei die Klamotten vom Leib zu reißen – im wahrsten Sinne des Wortes. Hosen und Hemden wurden zerfetzt und dann voller Stolz auf einen naheliegenden Baum geschleudert. Deswegen liefen am Ende alle männlichen Teilnehmer in Unterhosen herum - die Farbe lenkte von der Nacktheit ab. Teilweise konnte das Spektakel für Außenstehende etwas befremdlich oder brutal wirken. In Wirklichkeit war es nur eine gesteigerte Form von ausgelassenem Feiern und Spaß haben.


Das Fest soll auch für Annäherungsversuche zum anderen Geschlecht berüchtigt sein. Während Martin und ich immer streng darauf achten uns in der Öffentlichkeit nicht zu berühren, konnten wir hier eindeutig einige (illegale) Pärchen ausmachen.


Wir gönnten uns unter dem schattigen Zelt eine Pause. Es gab süßen Limonensaft und Süßigkeiten. Das Fest verlagerte sich langsam vor die großen Boxen und alle tanzten ausgelassen. Leider waren Martins Kommilitonen wieder mal nicht anwesend oder wir erkannten sie einfach nicht. Jedenfalls mischten wir uns in die Menge und einer brachte uns indisches Tanzen bei. Einfach ein bisschen rumwackeln und Arme in die Höhe.



Das Video zum Spektakel



 
Dann verließen wir das Schlachtfeld. Wir besorgten uns etwas Kaltes zu trinken sowie Eis und legten uns erschöpft auf eine Wiese in den Schatten und dösten. Heute war schließlich alles erlaubt. Martin nutze seine schwarze Tasche als Kopfkissen – seine Haare färbten ab. Und was soll ich euch sagen, später lief tatsächlich ein pinker Martin mit einer pinken Tasche durch Manipal. =)

Ich bin ja dafür, dass wir ein Fest der Farben auch in Deutschland feiern!

Wieder zu Hause wurden die Klamotten gleich für die Wäscherei bereit gelegt und ab ging’s unter die Dusche. Schock: Die Farbe ging nicht ab – jedenfalls nicht ganz. Vor allem bei Martin blieb viel hängen, der vorher über und über mit mehreren Schichten nasser Farbe geplastert war.
Ursprünglich entstanden die Farbpulver aus bestimmten Blüten, Wurzeln und Kräutern, die heilend wirken. Heute kommen häufig synthetische Farben zum Einsatz, die teilweise sogar schädlich sein können. Auβerdem gehen die viel schwerer ab.
Tage danach erkennt man noch, wer Holi gefeiert hat und wer nicht. Bei heller Haut sieht man es natürlich wesentlich deutlicher. Ich kann mir mein Grinsen nicht verkneifen. Der arme Martin darf jetzt noch ein paar Tage mit rosa Gesicht, Hals, Ohren, Bart, Händen und Fingernägeln rumrennen. Die Farbe aus Martins T-Shirts ging übrigens auch nicht raus.




Freitag, 18. März 2011

19/ Revels – Indiens Nachwuchstalente

Letzte Woche hatte Martin ab Mittag keine Uni, da zu dieser Zeit das „Revels“ stattfand - das jährliche Kultur- und Sportfest des Manipal Institute of Technology. Das Festival erinnert an Poeten, Künstler, Musiker, Sportler, die die Welt bereichert haben, in dem sie die Menschen an ihrem Talent teilhaben lieβen.
Vier Tage voller Wettbewerbe, Spaβ und Kennenlernen von Neuem. Der Selbstverwirklichung waren keine Grenzen gesetzt. Es war für jeden etwas dabei. Sportler, Sänger, Musiker, Schreiber, Debaters, Vortragskünstler, Tänzer, Bands, Maler und Models – vereint sorgten sie für Sternstunden der Kultur.

 
Das Programm war vollgepackt mit Events und jedem Tag wurde eine bestimmte Farbe zugeordnet. So kam es, dass die meisten mal rot, blau, grün oder schwarz gekleidet waren.
Der erste Programmpunkt auf unserer Liste war ein Theaterwettbewerb. Ein kleiner Theaterraum sorgte für die richtige Atmosphäre. Das einzige Hörbare, das wir wahrnahmen, waren die lauten Lacher des Publikums. Auf der Bühne wurde geschwiegen, denn alle Kurzstücke wurden ohne eine einzige Zeile Text aufgeführt. Dafür umso mehr Emotionen, starke Gestiken und Mimiken untermalt mit stimmiger Hintergrundmusik.
Vom ersten Stück bekamen wir nur das Ende mit. Uns war aber sofort klar worum es ging. Zwei Männer stellten in einer Art Komödie Alltagssituationen eines (indischen) Ehepaares dar. Die Körpersprache sagte mehr als tausend Worte. Ich machte mir ernsthaft Gedanken wie denn zwei Männer eines technischen Studiengangs sich, auf Deutsch gesagt, freiwillig so zum Affen machen konnten. Und das im positiven Sinne – sie waren wahrhaft glaubwürdig.
In einem zweiten grandiosen Stück ging es um einen Einbrecher, der Freude daran hatte, Masken mit verschiedenen Gesichtsausdrücken aufzusetzen. Am Ende bekam er die grinsende Maske nicht mehr ab. Nun spielte er Wut und Verzweiflung – alles mit einem perfekt grinsenden Gesichtsausdruck.
In einem anderen Stück gab ein Schriftsteller seiner Hauptfigur immer wieder andere Bestimmungen. Nie war er zufrieden. Das Ganze geriet auβer Kontrolle und die Hauptfigur tötete den Autor. Sein eigener Roman hatte ihm das Leben gekostet.
Es war berührendes Theater von der ersten Sekunde an. Die Theaterstücke waren übrigens alle selbst verfasst.
Wieder was gelernt: Berührungsängste und Peinlichkeitsempfinden scheinen Inder nicht zu besitzen. Hochprofessionell und mit einer gewissen Lockerheit gaben sie ihr Talent zum Besten. So ein Event wäre vielleicht schon aufgrund fehlender Teilnehmer an deutschen (technischen) Universitäten schwer vorstellbar.

Als nächstes stand ein Gesangswettbewerb auf dem Programm. Die Solokünstler traten in der Kategorie „Westliche Musik“ an. Die Akustik im Hof war wunderbar. Schatten und ein lauer Luftzug verhinderten übermäβige Schweiβausbrüche. Nur die „Moderatorin“ störte die Wohlfühlatmosphäre, die mit schrecklich laut krechzender Stimme lange Nummern statt Namen der Mitwirkenden vorlas und sich nach jedem Song genötigt fühlte ihre Meinung zum besten zu geben. „That was sooooo beautiful!!!!“, sagte sie immer wieder.
 
Danach nutzten wir die Zeit, um uns das ganze Areal genauer anzuschauen. Zugegebenermaβen erinnerte mich alles irgendwie an die Schulfeste zu Grundschulzeiten. Überall waren kleine Tischchen aufgestellt – dort konnte man sich an verschiedensten Spielen beteiligen. Um nicht gar als Spielverderber dazustehen, spielte Martin etwas nach seinem Geschmack (im wahrsten Sinne des Wortes). Bevor es losgehen konnte, mussten wir erst zu einem anderen Stand und ein Ticket für das Spiel kaufen: 10 Rupien. Die Spielregeln waren einfach: 2 Liter Wasser trinken ohne die Flasche abzusetzen. Mit einem breiten Grinsen sagte Martin zu mir „Ich hab ja eh Durst.“ und setzte die Flasche an. Mit einem unglaublichen Zug stürtzte er das Wasser hinunter. Um Martin bildete sich eine Menschentraube, die dem „Weiβen“ fasziniert zusahen. Einer sagte hinter mir: „Ich möchte gerne wissen, wie viel Bier er trinken kann.“. Bis zum letzten Tropfen – dann war es geschafft. Als Preis gab es eine winzige Tüte Chips im Wert von 10 Rupien.
Ein sehr blasser Martin mit aufgequollenen Augen wankte jetzt vor mir. Er hielt sich seinen Bauch: „Einfach zu viel Wasser“, stöhnte er.

Die erste der beiden 1-Liter-Flaschen
 
Beim Gesichtsmalwettbewerb wurde ich ebenfalls an meine Kindheit zurück erinnert. Da saβen auf einem groβen ausgebreiteten Teppich erwachsene Menschen, die sich bunte Farben ins Gesicht kleisterten. Ein Team bestand aus je zwei Personen. Der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt. Nach einer Stunde wurden Kreativität und Ästhetik bewertet.


Im "Quadrangle", einem groβen abgeschotteten Innenhof des MIT, sollten weitere Events wie Tanzwettbewerbe und ein Bandcontest stattfinden. Problem: Nur wer eine Identity-Card hatte, durfte da rein. Aber versuchen kann man es ja mal. So wie in einer deutschen Disco lief das leider nicht - wo Minderjährige hoffen können, dass man aufgrund seines weitentwickelten Äuβeren nicht kontrolliert würde. Hier in Indien musste jeder einzelne seine Karte vorzeigen. Martin lief vor mir Richtung Kontrolleure. Er kramte wohl etwas zu lange in seiner Tasche auf der Suche nach der ID-Card herum, denn sie fragten: „Isaac?“ Irgendwie hatte wir schon mal davon gehört und bejahten hoffnungsvoll. Problemlos wurden wir durchgelassen. „Stop!“, ich wurde von zwei Damen angehalten. Taschenkontrolle. Ich fragte vorsichtig, was denn nicht erlaubt sei und dachte dabei an Waffen etc. Sie antworteten: „Essbares.“ Tja, was soll ich sagen, der Hauptinhalt meiner Tasche bestand aus Nahrungsmitteln. Ich rief Martin zurück und wir sahen uns ratlos an. Plötzlich hieβ es: „It’s ok. Aber bitte sagt es keinem.“  

Drinnen angekommen erwartete uns eine groβe Menschenmenge, die sich vor Essensständen oder der Bühne befand. Der Tanzwettbewerb war in vollem Gange und die Stimmung schien dem gröhlenden Publikum zu Folge ausgelassen zu sein. Beim Revels war Alkohol übrigens verboten gewesen. 
  Einzeltanz

Gruppentanz

Bandwettbewerb



Zwei glückliche Revels-Besucher
Indisches Subway ;)
Gola - sau süß, aber erfrischend

In einer mittelalterlichen Maschine wird das Eis gedrechselt, mit einem Becher in Form gebracht und mit süßem Sirup übergossen. Beim Versuch das Eis zu schlecken oder zu zerbeißen scheitert man gnadenlos. Gola muss ausgezutscht werden.