Dienstag, 31. Mai 2011

41/ Die Wikinger kommen

Es gab wieder Kundenbesuch. Das gleiche Spiel wie beim letzten Mal.
Extra eine Stunde früher aufgestanden - pünktlich um 8 war ich da, durfte aber eine dreiviertel Stunde warten bis mein Sari endlich kam. Wir hatten nicht mal 10 Minuten, um mich da hinein zu bekommen - keine Zeit für Frisur und aufwendiges MakeUp. In letzter Sekunde bekam ich noch ein Bindi aufgeklebt. Ich trug den gleichen Sari wie bei der Fashion Show. Meine Lieblingsfarben sind es nicht und er soll 30 Jahre alt sein. Aber es gibt ja nicht so viele nette Kolleginnen, die annähernd so groß sind wie ich. Außerdem habe ich nur zwei Sari-Blusen. Das Türkis oder das knallige Rot passen ja nicht zu jedem Sari.
Wir hasteten zum Eingang der Manipal Press und warteten in der Hitze eine dreiviertel Stunde auf die unpünktlichen Kunden.

Reshma, Veena, Prajna, Shilpa, ich, Sushma, Comal, Sridevi und Priyanka

Comal überreicht Sweets


Ich hing den Hünen wieder fleißig Blumenketten um. Mit ihrer großen kräftigen Statur und den hell-rötlichen Haaren erinnerten sie mich an Wikinger. Die Inder müssen doch glauben alle Europäer sähen so aus.



Mein bekannter Niederländer kam wieder auf ein Schwätzchen vorbei. Er überraschte mich mit einem sauberen Deutsch und stellte fest, dass ich sehr hell aussehen würde. Ob ich denn nicht genug in die Sonne gehe. Tja, ich bin halt „busy“ die ganze Woche im vollklimatisierten Großraumbüro. Haut zeigen und „braun“ werden ist hier sowieso nicht ‚in‘.




Prajna trug zu so einem Anlass mal wieder ihre farbigen Kontaktlinsen. Sie waren braun wie ihre Augenfarbe, aber das leicht „Unnatürliche“ fiel mir sofort auf. Sie hätte sogar ganz helle ähnlich meiner Augenfarbe – die trägt sie manchmal bei Hochzeiten. Ich erzählte ihr von Kontaktlinsen, die die Augen wie bei Mangafiguren größer aussehen lassen. Manga kannte sie zwar zu meiner Verwunderung nicht, aber die Linsen wollte sie sich kaufen.
Ach ja, es musste bei unseren Gespräch zwangsläufig dazu kommen,  dass die hübsche Prajna sagte, dass sie gerne so eine Figur hätte wie ich. In Indien gelten scheinbar andere Idealmaße. In Indien würden die Frauen Sport machen und sich operieren lassen, um so einen Körper zu bekommen, fügte sie hinzu. Schließlich stellten wir gemeinsam fest, dass die Inder entweder sehr dünn seien oder eben einen dicken Bauch hätten. Prajna findet, dass viele Männer wie Schwangere aussehen. 


Fotoshooting mit der lieben Prajna:







































Sonntag, 29. Mai 2011

40/ Die Uni ist vorbei!

Fünf Monate Studieren in Indien sind heute vorbei! Nach 21 Prüfungen, 10 Prüfungsvorleistungen (hauptsächlich Präsentationen), 30 Protokollen, 5 Seminar-Präsentationen und einer 30-seitigen wissenschaftlichen Arbeit ist eines der nervenaufreibendsten Semester Martins 4-jähriger Studentenlaufbahn endlich geschafft.


Die Uni

Manipal ist eine von vielen aufstrebenden, indischen Städten. Besonders stolz ist man auf die Uni. Sie dominiert die Stadt wie nichts anderes. Sei es nun das Universitätskrankenhaus oder das pompöse Verwaltungsgebäude – sie alle werfen ihre Schatten auf die kleinen Buden und Hütten am Straßenrand, in denen sich Obsthändler, Fischverkäufer und Schneider versammelt haben. Die Uni ist überall, doch das war nicht immer so. Vor nicht mal 60 Jahren war Manipal nichts anderes als ein kleines Dorf mit einem schlammigen Tümpel. Daher leitet sich auch der Name Manipal ab: ‘Mannu Palla’ kommt aus der regionalen Sprache Tulu und bedeutet nichts anderes als ‘matschiger Teich’.

Seit 57 Jahren gibt es die Manipal University. 20.000 Studenten studieren in den Bereichen Ingenieurswesen, Architektur, Medizin, Zahnmedizin, Krankenpflege, Pharmazie, Biotechnology, Management, Kommunikation, Informatik und Hotelmanagement.
Interessant und vorbildlich in den Augen einer Nichtraucherin: Auf dem gesamten Campus herrscht striktes Rauchverbot.

Martin studiert hier ein Semester, um zwei Mastertitel zu erhalten:  Printing and Media Technology der TU Chemnitz und der Manipal University. Um den Bachelor of Engineering in Printing Technology zu erhalten, studiert man hier sogar 4 Jahre und bezahlt dafür 10.828 Euro (693.000 Rupien). Für den 2-jährigen Master of Technology bezahlen Martins Klassenkameraden 2.937 Euro (188.000 Rupien).

 
Der liebe Martin sollte in meinem Blog auch mal zu Wort kommen und von seinem Studium berichten. Schreiben macht allerdings nur einem von uns beiden Freude, deswegen habe ich mich der Interview-Technik bedient und ihn ausgefragt.

Das Interview

Was sind die größten Unterschiede zwischen dem Studieren in Deutschland und Indien?

In Indien hat man einen engeren Kontakt zu den Lehrenden. Oft gibt es die Möglichkeit mit ihnen über das Fach und eventuelle Probleme zu reden. In Deutschland ist die Distanz größer und das Verhältnis anonymer. Obwohl die Anzahl meiner Kommilitonen sich in beiden Ländern nicht gravierend unterscheidet.

Außerdem ist das Studium in Indien viel verschulter. Die Vorlesungen finden fast immer im selben Raum statt. Doch es gibt keine monologen Vorlesungen wie man es aus Deutschland gewohnt ist. Hier wird gerne diskutiert.

Uni ist hier von Montag bis Samstag. Jeden Tag haben wir 4 bis 7 Stunden von 8.00 Uhr bis spätestens 17.00 Uhr.


Welches System findest du besser?

Grundsätzlich finde ich die Art des Studiums in Deutschland besser. Dort gibt es keine Anwesenheitspflicht wie in Indien. Man ist in seinen Entscheidungen freier, aber manche kommen vielleicht mit dieser Freiheit nicht klar.

Gut ist allerdings, dass wir hier nicht nur einmal am Ende des Semesters eine Prüfung schreiben, sondern drei. So lernt man schon im Semester öfters und es prägt sich den Stoff vielleicht besser ein. Natürlich ist das auch sehr anstrengend.


Ein paar Worte zu deinen Dozenten/Professoren. Hat dich jemand besonders beeindruckt?
Wir haben in unserem Institut nur einen Professor der Chemie. Die anderen sind einfache Dozenten oder sogar lehrende Masterstudenten. Drei Klassenkameraden arbeiten hier als Lehrkraft und nehmen deswegen nur an der Hälfte der Prüfungen teil.
Besonders beeindruckt hat mich ein Gastprofessor der Firma Unilever. Er referierte zum Thema Verpackungsdruck und -materialien. Er wusste auf all unsere Fragen Antwort und erklärte uns spontan anhand einer Wasserflasche deren beeindruckendes Design und Funktionen. Das Thema war sehr interessant und neu für mich, da wir in Chemnitz leider gar nicht auf Verpackungsdruck eingegangen sind. Dort ist man eher auf gedruckte Elektronik fokussiert.


Welche Fächer hattest du?

Ich hatte 9 Fächer, die alle geprüft wurden.
- Advanced Printed Packaging Technology
- Print Production & Business Management
- Quality Control & Standardization in Printing
- Color Management Systems
- Environment Management for Printing Industry (Wahlfach)
- Management Information Systems (Wahlfach)
- Seminar: Präsentation eines selbstgewählten Themas
- 2 Praktika


Kannst du dich noch an deinen ersten Tag an der Uni erinnern?

Ja, also ich wurde freundlich von meinen Kommilitonen aufgenommen und alle fragten mich, wie ich Indien finde. Neu war für mich die Frage: Hast du gegessen? Die muss ich bis heute noch jeden Tag beantworten.
Das Gebäude unseres Instituts und die Einrichtung hatte ich mir etwas moderner vorgestellt. Von der Toilette war ich echt geschockt.
Ich war froh, dass die Vorlesungen nur eine Stunde gingen. Bei 1,5 Stunden Vorlesung lässt die Konzentration irgendwann nach.

Und was ich wohl nie vergessen werde: Als ich mich gerade mit jemanden unterhielt, sah ich wie sich Digvijay und Ankur, einem Liebespaar ähnlich, innig umarmten. Ich habe nicht schlecht geguckt. Für mich war das ja vollkommen neu, aber nun weiß ich, dass Körperkontakt unter Männern hier üblich ist. Unter Frauen natürlich auch.


Wie ist das Bewertungssystem?

Es gibt die Noten A bis F. Berechnet wird das nach dem Maßstab des Besten, der dann ein A+ bekommt. Im gesamten Semester kann man 100 Punkte erreichen. Zehn Punkte für die Prüfungsvorleistungen, 2 x 20 Punkte für die Zwischenprüfungen und 50 Punkte für die Abschlussprüfungen.

Bei der Art der Bewertung habe ich den Eindruck, dass sie das Lineal anlegen und umso mehr man geschrieben hat, desto mehr Punkte bekommt man. Leider verlangen viele Inder immer nach Zusatzblättern zum beschreiben. Wichtig sind hier vor allem Erklärungen, Interpretationen, Umschreibungen – während ich eher ein Faktenschreiber bin und kein Geschichtenschreiber. Nicht ganz ungewöhnlich für einen Student eines technischen Studiengangs.


Wie ist studieren auf (Indisch)-Englisch?

Am Anfang war es schwierig durch den Akzent. Dann konnte ich aber gut folgen. Nur man kann immer besser verstehen, als sich ausdrücken. Leider habe ich nicht fließend Englisch sprechen gelernt, aber ich bin sicherer geworden und konnte vor allem mein Alltagsvokabular verbessern. 


Echte Freunde fürs Leben gefunden?

Am meisten ans Herz gewachsen sind mir Yuva Raju, Shivakumar und Devicharan. Devicharan (DC) - der unbekümmerte Klassenclown mit der Lache eines nicht anspringen wollenden Mopeds - hat mir vor allem bei den vielen Formalitäten am Anfang meines Aufenthaltes geholfen.
Yuva Raju ist ein aufgeschlossener, intelligenter und witziger Freund. Ich bin froh, dass er im September nach Deutschland kommt und dort ein Jahr mit mir zusammen studieren wird.
Shivakumar – die ruhige gute Seele – ist sehr strebsam, extrem sparsam und macht sich immer Sorgen um mich. Er ist schon verheiratet und der pünktlichste Inder, den ich kenne. Er ist nie zu spät und der Einzige, der in jedem Fach eine 100-prozentige Anwesenheit hatte. Einmal hat er mir aus der Hand gelesen:  Ich werde alt, werde ein Kind haben und später ein Durchschnittsgehalt bekommen. Außerdem sei ich klar in meinem Denken und gebe mein Geld sehr bedacht aus. Schön, dass er ebenfalls mit mir den Master in Chemnitz abschließen wird.

Dank den Dreien habe ich überhaupt manch wichtige Information während des Semesters bekommen. Ansonsten wäre ich ahnungslos aufgeschmissen gewesen.


Dein Fazit?

Geht nicht allein nach Manipal studieren – es kann manchmal sehr einsam sein. Und wohnt lieber im Hostel, anstatt in einer eigenen Wohnung außerhalb des Campus. Damit habt ihr keine Probleme mit Strom, Internet etc.


Vielen Dank!



Bei meinen Recherchen zu diesem Blogeintrag bin ich auf der Internetseite der Manipal University auf eine interessante Seite mit dem Titel “Dress Code” gestoßen:

Empfohlen für Männer:
- Hosen und Shirts mit Kragen
- Schuhe und Socken

Verboten für Männer:
- T-Shirts, kurze Hosen
- enge dreckige Jeans
- Mützen, Flip Flops, Sportschuhe
- Ohrringe
- am Boden schleifende Hosen
- Pferdeschwänze
- Hosen mit 6 oder mehr Taschen


Empfohlen für Frauen:
- formale Kleidung wie salwar kameez oder churidhar
- formales Schuhwerk
- Haare, die über die Schulter gehen, sollten zusammen gebunden werden.

Verboten für Frauen:
- enge dreckige Jeans
- am Boden schleifende Hosen, Röcke, kurze Hosen
- offenherzige tiefe Tops, Spaghettiträger-Tops, schulterfreie Tops, T-Shirts

Bei Verletzung der Kleiderordnung wird der betreffende Student zum Gehen aufgefordert.


Auf ihrer Internetseite berichten sie stolz, dass hier Menschen aus 52 Ländern studieren. Da finde ich diese engstirnige Kleiderordnung einer Privatuniversität - bei allem Respekt für indische Traditionen - nicht gerade passend. Wenn ich dort studiert hätte, hätte ich mich wohl mal mit dem Direktor anlegen müssen oder zumindest mir die komplette Neuausstattung meines Kleiderschrankes bezahlen lassen.


Und noch etwas äußerst Interessantes auf dieser Webseite:

Außerhalb des Campus:

"Any complaint or reporting of misbehaviour, violence, anti-socialism, unethical and immoral activities involving International students will be dealt with in accordance with the State and Central laws that are in force."
Selbst Studenten aus anderen Ländern dürfen sich außerhalb des Campus nicht des Anti-Sozialismus schuldig machen! Haha, Indien hat ja einiges mit China gemeinsam, aber das wäre mir neu.



So, meine lieben Blogleser, in den nächsten Tagen wird es hier sehr still werden.
Am Dienstag (31. Mai) begeben wir uns mit einigen Klassenkameraden auf große Nordindienreise. Bis nach Dehli müssen wir 38 Stunden Zugfahrt überstehen. Geplant ist, dass wir am 10. Juni wieder kommen.



P.S.: Alles alles Gute zum Geburtstag liebe Schwiegermutti! Wir stoßen hier in Indien auf dich an und denken an dich.




Donnerstag, 26. Mai 2011

39/ Kleines Alltags-Potpourri


Seit genau 121 Tagen und auf den Tag 4 Monaten befinde ich mich nun in Indien. Qualität vor Quantität - also habe ich euch vor exhibitionistischen Ausuferungen verschont. Gibt ja Interessanteres, als zu lesen, wann ich mit welchem Fuß aufgestanden bin. Trotzdem hier an dieser Stelle jetzt ein bisschen detailverliebter Bine-Alltag mit Anekdoten gespickt:

Wenn ich morgens das Haus verlasse, führt mein Weg unten am Shop vorbei.  1. Gedanke: Hat er schon auf? Fällt 1 positiv aus, folgt Gedanke 2: Wurden meine geliebten ‚Egg Pavs‘ schon geliefert? Oft habe ich Glück und der große Mann mit den dunklen lockigen Haaren wickelt mir die warme mit Ei gefüllte Blätterteigtasche in Zeitungspapier ein. Gern kaufe ich dazu noch Kekse und ein paar Bananen, die hier deutlich kleiner und süßer ausfallen als in Deutschland. Wenn er kein Rückgeld hat, gibt er mir statt einer Rupie kleine Bonbons oder Schokolade.
Während seine Frau relativ gut Englisch spricht, beherrscht der Mann höchstens die Zahlen auf Englisch. Als er wissen wollte, was ich genau mache, begann eine lustige Hand-Fuß-Konversation. Mit pantomimischen Talent tat er so, als schriebe er etwas in ein Heft. Ich verneinte und plapperte auf Englisch los, dass ich nicht studiere, sondern bei MDS in der Industrial Area arbeite. Da klimperte er mit seinen Fingern und fragte: Computer? Ja, ich mache etwas mit dem Computer. :)
Letztens holte er aus den Tiefen seines kleinen vollgestopften Gemischtwarenladens einen Eimer Wasser und stellte ihn vor mich. Ich verkniff mir aufzuschreien, denn darin befand sich eine lebende Maus. Sie paddelte gerade um ihr Leben. Der Anblick war grausam, aber zu dramatisch um wegzusehen. Immer wieder geriet sie mit dem Köpfchen unter Wasser, kämpfte sich wieder hoch und schnappte nach Luft. Wenn das Milch gewesen wäre, könnte sie wenigstens so lange strampeln bis es Butter ist und heraus springen.
Die Zeit morgens drängt. Schnell weiter zur Bushaltestelle, die man als solche natürlich nicht erkennt. Hatte ich am Anfang stolz berichtet wie ich den Weg zum TC (Tiger Circle) erfolgreich zu Fuß in Angriff nehme, bin ich jetzt in der heißesten unerträglichsten Zeit auf den Bus umgestiegen. Ich quetsche mich hinein und versuche mit meinem großen geländetauglichen Schuhwerk keine zarten indischen Füße zu treffen.  In höheren Gefilden muss ich aufpassen, dass mein Kopf nicht gegen die Busdecke und den daran befestigten Stangen knallt. In einer Hand halte ich bereits das Busgeld und bezahle bei nächster Gelegenheit meine 3-4 Rupien. Spätestens beim Warten am TC oder im nächsten Bus tropft der Schweiß unablässig. Gut, dass ich in diesem Bus immer einen luftigen Sitzplatz am Fenster ergattere. Mit fröhlich-indischen Popklängen werde ich auf Arbeit gebracht. 

Der Mann in beige-braun ist der Buskassierer.

Der schöne indisch-rote "Fußgängerweg"


 Mein Lieblingslied im Bus:
 „Mauja Hi Mauja“ (Spaß und mehr Spaß) aus dem Bollywood-Film ‚Jab We Met‘




Wenn ich die Türschwelle zu MDS betrete, begrüßt mich als erstes Deutschland. 


Als zweites hoffentlich mein Lieblingsrezeptionist. Der ältere kleine Mann lächelt mich an, öffnet (nur) mir das Buch zum Eintragen und reicht mir den Stift dazu. Meine Kolleginnen nennen ihn liebevoll „Uncle“, da sich in Indien alle im weiteren Sinne „verwandt“ fühlen.
An meinem Schreibtisch angekommen, logge ich mich bei Skype ein und meist erwartet mich schon eine nette Nachricht von Priyanka: „Hi. Very good morning. Have a wonderful day ahead.“

So ein Großraumbüro hat echt seine Vorteile. Es hat immer jemand Geburtstag oder es gibt sonstige Anlässe (Verlobung, Hochzeitstag). Beinahe täglich geht irgendjemand herum und verteilt leckere Naschereien. Die Süßigkeiten bestehen hauptsächlich aus Zucker, Butter und Nüssen. Manchmal gibt es Kuchen oder Eis. Wenn die Chefs von ihren Reisen (London, Brasilien) wieder kommen, gibt es ebenfalls Süßes für alle Mitarbeiter. Das ist eine schöne betriebsklimafreundliche Tradition – auch wenn sie bei so vielen Mitarbeitern ganz schön ins Geld bzw.  an die Hüften geht. Mein Geburtstag ist ja nicht mehr weit ... Gibt es eigentlich eine typisch deutsche Süßigkeit?



Sri lässt mich immer wissen, wenn jemand Geburtstag hat, damit ich auch ja gratuliere. Wer gratuliert, bekommt im Gegenzug etwas Süßes. Letztens kam Chaitra mit gelben Kugeln vorbei und sie murmelte irgendetwas dazu. Leider habe ich das nicht richtig verstanden und dummerweise nicht nachgefragt. Am nächsten Tage fragte ich Sri, was denn der Anlass bei Chaitra gewesen sei. Da sagte sie mir, dass es Chaitras letzter Tag auf Arbeit gewesen sei, weil sie zu ihrem Mann in den Oman ziehe. Schande über mich – ich habe mich nicht verabschiedet.

Sri bringt gerne etwas Essbares aus dem Tempel mit. Sie schüttet mir dann ein Häufchen in meine Hand. Manchmal sieht es aus wie Vogelfutter oder wie feiner gelber Sand. Zu meiner Überraschung verspeisten sie hier auch schon Bonbons mit dem Namen „Alpenliebe“.

Einmal kamen Kolleginnen aus anderen Abteilungen an meinen Platz und sagten: „Jemand hat uns gesagt, du hast heute etwas besonders Schickes an.“ Ja, der Buschfunk ist hier rasend schnell. Das gilt auch für Fotos. Schickst du einer Kollegin deine Fotos, haben sie binnen weniger Minuten alle auf dem Bildschirm.
Nicht immer treffe ich mit meiner Kleidung den indischen Geschmack: Ich hatte mein Kleid an, dass früher mal ein Nachthemd gewesen war (siehe Blogeintrag 26), jetzt aber sehr schick aussieht.
Prajna versuchte es erst auf die indirekte Art: „Deine schwarze Hose würde sehr gut zu dem Kleid passen.“
Ich:        „Ich trage das aber lieber ohne Hose – das ist luftiger bei der Hitze.“
Prajna eindringlicher: „Mit der Hose sieht das aber viel besser aus.“
Ich:        „Finde ich nicht.“
Prajna rückte mit der Sprache heraus: „Das Kleid ist für die Arbeit nicht geeignet – es ist zu kurz. Und oben...“ (Sie zeigt auf ihren Schal, den hier alle Frauen über dem Dekoltee tragen.)
Ich:        „Was ist das Problem?“
Sie:        „Nichts, es ist schick und du kannst es ja in deiner Freizeit so tragen, aber nicht im Büro.“
Toll...das Kleid ist übrigens knielang, nicht schulterfrei und mit sehr bravem Ausschnitt! Dieses Kleid bringt mir einfach kein Glück.

Putzfrauen haben wir hier auch. Sie essen immer abseits von den Anderen, laufen barfuß und kehren mit einem Bündel aus „Ästen“ durch das glatt gefliesste Büro.
Letztens hatten wir Handwerker im Haus, die ordentlich Lärm gemacht haben. Ihre romantische Ader haben sie kurzerhand in der Wand verewigt. Inder sollen ja ziemlich sensible Menschen sein. Sie merken, wenn es einem nicht so gut geht und haben immer ein offenes Ohr. Dass ich so was extra erwähne, zeigt, dass es nicht selbstverständlich ist. 



Ein ganz netter, herzlicher und besonders extrovertierter Kollege namens Vivian aus dem Marketing ist kürzlich Vater geworden. Stolz zeigte er uns die ersten Bilder von seinem Sohn. Seine Frau hätte lieber eine Tochter bekommen - sie hat 9 Monate lang den wachsenden Bauch immer als „sie“ bezeichnet. Jetzt ist es doch ein Junge geworden. Da sie darauf nicht eingestellt waren, hat es bis jetzt auch noch keinen Namen. „Vivian“ soll auf jeden Fall der Zweitname werden, ansonsten wäre „Joshua“ eine Option für den frisch gebackenen Vater.
Als ich anmerkte, dass das Baby außergewöhnlich hell aussieht, meinten alle um mich herum: Ja, Vivian muss eine sehr hübsche Frau haben. Der arme Vivian wurde bei dem Kompliment nicht bedacht. Und als ob hell mit hübsch gleichzusetzen wäre!
Vivian ist einer der wenigen männlichen Inder, den ich kenne, der mit Frauen genauso locker und ungezwungen umgeht wie mit Männern. Er ist auch der einzige männliche Inder, der mir Komplimente macht. Einmal war er unheimlich fasziniert von meinem grün-glitzernden Oberteil und fragte, wo ich es gekauft hätte - leider in Deutschland. Seitdem ich einmal mit Brille auf Arbeit gekommen, nennt er mich jetzt liebevoll ‚Grandma‘.
Vivian beherrscht es perfekt Menschen in Gespräche zu verwickeln – sei es Smalltalk oder ein lustiger kleiner Schlagabtausch. Wenn ich ihm begegne, begrüßt er mich als erstes mit seinem „Guten Morgen“ mit starker Betonung auf ‚u‘ und ‚o‘.  Neben seiner kommunkativen Ader, versucht er auch gerne witzig zu sein. Mit ihm kann man super rumalbern. Einmal sprachen wir über Sportarten – Leichtathletik haben wir beide ausgeübt. Wir führten das sogleich inkl. Erwärmungsübungen vor. Das war sehr lustig aufgrund der schönen Bürokulisse und einem Vivian, der etwas aus der Form gegangen war. Es endete in einem Armdrücken-Wettkampf auf dem PC, den ich bestimmt nur ganz knapp verlor. :) Ja, Sport fehlt mir hier sehr.

In der Mittagspause kommt es immer wieder zu lustigen Gesprächsthemen. Ich sollte ihnen erklären, was Frühling und Herbst ist, da es das in diesem Sinne hier nicht gibt. Die meisten kennen auch keinen Schnee. Wie es mit dem Regen in Deutschland ist, wollten sie wissen. Anusha, die römisch-katholisch ist, weiß manchmal mehr über „Westliches“ bescheid als die anderen. Sie erklärte ihnen, welche Tischsitten es gibt und dass es viele verschiedene Bestecke für verschiedene Speisen gibt.

Auf Arbeit bestelle ich mein Mittag immer beim einem unschlagbar preisgünstigen „Restaurant“, das aber nicht soviel Auswahl zu bieten hat. Oft bestelle ich gleich noch etwas zum Abendbrot – meist Chicken Fried Rice (35 Rupien) für Martin und Veg Noodles (25 Rupien) für mich. Zu Hause pimpen wir das Ganze noch mit Tomate, Paprika, Zwiebel und Ei – fertig ist unser Standard-Lieblingsgericht.

Achja, ich habe mich unsterblich in einen kleinen, zuckersüßen, tapsigen Hund verliebt. Er spielt immer vor unserem Haus und sieht ziemlich dünn aus, wie alle Hunde hier. Und so wie fast alle Hunde scheint er auch ohne Herrchen zu sein. Wir kommen nicht an ihm vorbei ohne ein bisschen mit ihm zu spielen. Wessen Herz regt sich bitteschön nicht bei den folgenden Fotos/Video?









Donnerstag, 19. Mai 2011

38/ Restaurants – der ganz normale Wahnsinn :)


Marktwirtschaft und Wettbewerbsverhalten scheinen in der indischen Gastronomie noch nicht endgültig angekommen zu sein. Denn dann wüsste man, dass klebrige mit Fliegen besetzte Tische, kaputte Plastikstühle und zerflederte Speisekarten sicher nicht zu einer konsumschwangeren Essensatmosphäre beitragen.
Jedem Inder ist wohl bekannt, dass es hier mitunter täglich Stromausfall gibt. Die meisten Restaurants haben deswegen einen Inverter, um das Geschäft weiter am Laufen zu halten. Es gibt aber auch Ausnahmen. Ein kleines „Restaurant“ (siehe Blogeintrag 9), das ständig von Studenten belagert wird, muss bei Stromausfall alle Leute fortschicken. Hauptsache sie haben einen Fernseher. Die verdienen jeden Tag eine Menge Kohle mit den Studenten. Was machen die damit? In eine zumindest dem indischen Standard entsprechende Ausstattung oder einen Inverter investieren sie es jedenfalls nicht. Vielleicht argumentieren sie ja so, dass sie bei Stromausfall so viel Minus machen, dass sie nichts für funktionstüchtige Plastikstühle übrig haben. Vielleicht haben sie das auch nicht nötig. Ich habe schon hungrige Menschen warten sehen, bis der Strom wieder kam. Als gäbe es hier nicht alle paar Meter ein anderes Restaurant. ;) Außerdem schließt die „Fressbude“ punkt 19.00 Uhr. Ich konnte es nicht fassen, als kurz vor 7 trotz essenden Gästen die Stühle hochgestellt und neue Gäste abgewiesen wurden.
In einem anderen Speiselokal gibt es andere Probleme. Es kam schon öfters vor, dass sie mir einen Großteil der Gerichte auf ihrer Karte nicht anbieten konnten. Grund: Der Koch war noch nicht da oder sie hatten weder Nudeln noch Macaroni da! Und das zu Beginn der Abendbrotszeit. Hallo? So was kann man lagern - das wird nicht schlecht. Naja, ich als geborene Perfektionistin muss mich wohl dran gewöhnen, dass hier nichts „perfekt“ ist – im deutschen Sinne.

Die Speisekarten in den hiesigen Restaurants (falls es eine geben sollte) unterscheiden sich, was die Auswahl der Speisen betrifft, nicht wesentlich. An der Menge der Rechtschreibfehler und der Abgenutztheit der Karten bzw. Blätter kann man oft auf das Preisniveau schließen. Beim Lesen der meisten aufgeführten Speisen, bilden sich in unseren Köpfen drei groβe Fragezeichen. Und wenn es ums Essen geht, sollte man in Indien nicht zu mutig sein und wahllos drauf los bestellen. Wer möchte denn seine Geschmacksnerven freiwillig foltern?
Die Namen der Gerichte sind meist eigenwillige Kombinationen aus Englisch, Hindi und regionalen Sprachen. Wer weiß schon was sich hinter Neer Dosa, Pav Bhaji oder Kori Rotti verbirgt? Bei wem läuft denn bitteschön nicht das Wasser im Munde zusammen, wenn er Baigan Bhartha, Malai Kofta, Paneer Jugalbhandhi, Handi Gosht oder Murg Kali Mirchi liest? Da wächst die Sehnsucht nach schönem deutschen Essen wie zum Beispiel Döner. Zumindest eine gewisse Wortstammähnlichkeit gibt es mit den indischen Hazzare Kabab oder Hariyali Kabab. Also liebe Mitbürger im gebärfreudigen Alter; wer noch einen besonders ausgefallenen Namen für sein Kind sucht - eine indische Speisekarte hilft sicher weiter.

Doch es liegt nicht nur an unserer fehlenden indischen Abstammung, dass die Speisekarte oft ein Buch mit sieben Siegeln darstellt. Die deutsche Rechtschreibung hat uns bestimmt das letzte bisschen kreativen Buchstabensalat ausgetrieben. Nehmen wir uns ein Beispiel an den Indern: Während ein Gläschen „Batter milk“ noch sehr sympathisch rüber kommt, wirkt der „Grill Chicken Berger“ schon etwas dreist. Die kreative Bandbreite umfasst weiterhin „famouse“ (famous=berühmt), „Ciken“ (Chicken=Huhn), „Vanila“ (Vanilla=Vanille) oder „Tomatto Sauce“ (Tomato Sauce=Tomatensoße). Etwas verkohlt dürften sich auch unsere lateinamerikanischen Freunde vorkommen: Maxicana Chicken Sizzler & Maxicana Sauce.
Für endgültige Verwirrung im Speisekartendschungel sorgen aber die indischen Spezialitäten selbst. Wer käme denn auf den Gedanken, dass ‚Pannier‘ das Gleiche ist wie ‚Paneer‘ (Käse) oder ‚Paratha‘ schlicht ‚Parota‘ (indisches „Brot“, sieht aus wie Eierkuchen) sind?

Die ‚Mashroom Fried Noodle‘ (gebratene Nudel mit Pilz) scheint die beste Wahl für den ganz klitzekleinen Hunger zu sein. Vielleicht ist es auch ein Appetitanreger für den Appetitanreger, was aber nicht den Preis von 45 Rupien rechtfertigt.
 
Weiter geht’s: Wenn ‚Egg‘ Ei bedeutet und ‚Omelet‘ ein Omelette ist, dann erkläre mir mal bitte jemand den Unterschied zwischen den beiden Gerichten ‚Egg omelet‘ und ‚Omelet‘.

Der ‚Green Salad‘ (Grüner Salat) klingt dagegen eindeutig und vielversprechend. Serviert bekommt man allerdings einen kleinen Teller mit dicken Zwiebel-, Tomaten-, Möhren- und Gurkenscheiben - das alles ohne Dressing. Aber wenn man Glück hat, gibt es noch ein Stück Zitrone dazu. Da die Gurken hier eher weiß aussehen, ist die Bezeichnung ‚grüner‘ Salat wohl dem um sich schlagenden Ökotrend geschuldet. Dafür steht auch folgendes Mahl: ‚Green meet soup‘. Ob hier nun “Grüne auf eine Suppe treffen“ oder uns doch eine hoffentlich gesundheitlich unbedenkliche „grüne Fleischsuppe“ erwartet, gilt es noch zu testen. In die grüne Abteilung reiht sich ebenfalls ‚Aloo Jeera‘ ein. Das kommt euch irgendwie bekannt vor? Na klar, die ‚Aloe vera‘-Marketingmaschinerie scheint sich bis Indien durchgeschlagen zu haben. Sorgt das Gericht jetzt für Schönheit von innen oder es ist es doch nur ein harmloses indisches Kartoffel-Gericht?

Kommen wir zur Fleischabteilung indischer Speisekarten. Sagte ich Fleisch? Ich meinte natürlich „Chicken“ oder besser gesagt „Non-Veg“. Mein Favorit vom Namen her ist das ‚Chicken lollypop‘. Pragmatisch bis einfallslos dagegen das ‚Chicken 65‘. Ich hoffe nicht, dass die Zahl für dessen Jahrgang steht. Bei dem Gericht ‚Dragon Chicken‘ spuken komische Bilder in meinem Kopf herum. Aber es wird nicht besser. Ob ‚Paneer Finger‘ (Käsefinger) genauso markant riechen wie die Kollegen mit den Zehen dran? „Chicken Finger“ klingt vielleicht gewöhnungsbedürftig, aber erst mit dem Gericht ‚Lady’s Finger‘ schießen sie den Vogel definitiv ab.

Besonders gern habe ich die Gerichte, bei denen nichtssagende Adjektive versuchen vielversprechende Namen zu kreieren, was widerum den saftigen Preis rechtfertigen soll. Beste Beispiele: ‚Famous Special Burger‘, ‚Pizza Veg Extravaganza‘ oder ‚Pizza Chicken Bonanza‘. Der einfallsreiche ‚Cottage in the woods Burger‘ bewegt sich ebenfalls fernab meiner Vorstellungskraft – eine „Hütte im Wald“ zu verspeisen gehört nicht zu meiner Was-man-im-Leben-mal-gemacht-haben-muss-Liste.

In der Rubrik “Sandwiches” ist meine erste Wahl sicher nicht das ‚Chilly Toast Sandwich‘. Meine Neugier erweckt eher das ‚Sandwich Veg & Cheese S/W‘. Ich verneige mich zutiefst, sollten sie es tatsächlich schaffen mir ein schwarz-weißes vegetarisches Käsesandwich zuzubereiten. Für die Figurbewussten empfehle ich das ‚Veg Sandwich‘. Etwas teurer, wahrscheinlich aufgrund des Mitgliedbeitrags zum Diätclub, ist dann das ‚Veg Club Sandwich‘. Beim ‚Indian Jones Sandwich‘ ist man gewillt sich den berühmten Archäologen in den Tiefen der Klappstulle grabend vorzustellen. Weniger harmlos ist jedoch die Übersetzung dazu: Indisches Heroin-Sandwich.

Wer nach diesem spektakulären Angebot noch nicht gesättigt ist, der kann in ausgewählten Fastfood-Ketten einen ‚Black Forest‘ käuflich erwerben. Und bitte vorsicht beim Faluda-Eisbecher - darin befinden sich Nudeln und Kaviar-Ähnliches.


Wie ihr lesen konntet, ist die indische Speisenkreativität schier unendlich und es sei ihnen verziehen, wenn es dann aufgrund von Platzmangel auf der Speisekarte zu solchen Wort-Gerichten kommt: „BackedMacronichickenwithCheese“.

Speisekarte unseres billigen Lieblingsrestaurants "Hotel Shantala"


Noch eine kurze Anekdote zum Thema Bar:
An einem Samstagabend traten wir in eine gutbesuchte kleine Bar ein. Ich studierte gerade den Aushang an der Wand mit den wenigen Cocktails, da sagte uns ein Angestellter wir sollen doch nebenan ins Café 18 gehen. Etwas verwirrt folgten wir dem Mann und betraten die von Türstehern bewachte Schickimicki-Lokalität – Martin im lässigen Deutschland-Trikot, kurzer Hose und Rucksack. Die Räumlichkeiten waren gut klimatisiert, aber gähnend leer. Der Blick in die Karte war kein schöner Anblick. Die Preise für alle Getränke waren ungefähr doppelt so teuer wie in der kleinen Bar davor. Aus Anstand bestellten wir ein kleines Kingfisher. Trotz guter Musik kam aufgrund fehlender Gäste keine Partystimmung auf. Wir waren froh diesen Ort schnell wieder zu verlassen. Das Personal war bestimmt enttäuscht von unserem schlechten Umsatz. Am Ausgang sollte Martin seine Handynummer herausgeben – das hätte ich nie und nimmer gemacht. Aber er hatte es so verstanden, dass sie sicher gehen wollten, dass der Gast auch gut zu Hause ankommt. Ich sag nur ein kleines Bier. :) Haha, jetzt kriegt er dauernd Werbe-SMS vom tollen teuren Café 18.




PS. Übrigens wurde mein Blog jetzt in einem Artikel einer offiziellen News-Seite verlinkt. Klickt einfach mal im zweiten Absatz auf „ihre vierarmigen Götter“. Und den Artikel könnt ihr auch gleich mal lesen – sehr interessant!



Sonntag, 15. Mai 2011

37/ Bine – die indische Braut


Am Sonntag fand das große Firmenevent der Manipal Group statt: Colors 2011. In einem Talentwettbewerb sind bereits alle Firmen gegeneinander angetreten. Jetzt wurden die Pokale verteilt und die Besten durften noch mal ihr Können unter Beweis stellen.

Eifrig planten wir unsere Programmpunkte für den großen Tag. Jede Firma hatte nur eine bestimmte Zeit zur Verfügung.
An den traditionellen indischen Tänzen durfte ich leider nicht teilnehmen, da sie angeblich zu schwer für mich seien. Sweta fragte mich aber, ob ich denn ein Opern-Lied vorsingen könnte. Bei aller Liebe und jahrelanger Chorerfahrung – das wäre reine Selbstüberschätzung. Meinen anderen Kolleginnen musste ich erstmal erklären, was denn eine Oper ist. Im Gegenzug schlug ich vor mit Martin Salsa vorzutanzen. Das wurde abgelehnt, da nur Angestellte der Manipal Group teilnehmen dürfen – schade.
Trotzdem wurde ich ein wichtiger Teil des Programms. In der Fashion Show sollten verschiedene indische Hochzeitskleidungsstile vorgeführt werden. Die Vielfalt ist natürlich riesig in so einem Land – deshalb unterteilten sie nach Religionen und Staaten. Kurz hatten sie überlegt mich als Christin in weiß gehen zu lassen. Doch letztlich sollte ich als Höhepunkt der Show die typische Braut des hiesigen Staates Karnataka präsentieren. Guillaume war mein Bräutigam. Martin war ein bisschen neidisch und auch meine Kolleginnen bedauerten, dass er nicht an meiner Seite sein konnte. Wir würden ja sooo perfekt zusammen passen.
Die Vorbereitungen in einem anderen Kulturkreis live mitzuerleben, kann ich definitiv als neue Erfahrung verbuchen. Natürlich kam ich gemäß meiner Natur nicht umhin mir Gedanken zu machen, wie man das alles effektiver und nervenschonender organisieren könnte.
Prajna hatte die ganze Organisation in der Hand – aber öfters ging es drunter und drüber. Während der Proben diskutierten sie heißblütig in ihrer Sprache. Die Choreografie änderte sich zig Mal. Wer geduldig jede Probe mit passiver Anwesenheit glänzte, schien auf der sicheren Seite. Leider fehlt mir dieses Gen unnötig (Arbeits)zeit zu verschwenden.
Apropos Zeit. Pünktlichkeit bedeutet ja überall auf der Welt etwas anderes. Einmal sagte Prajna mir, dass heute 16.30 Probe sei. Ich sah auf die Uhr und sagte: „Es ist 16.30.“. „Nein, es ist 16.29!“, antwortete sie. Im Endeffekt warteten Guillaume, ein paar andere pünktliche Idioten und ich wieder ewig  auf den Beginn der Probe. Manchmal erfuhr man auch erst wenige Minuten vorher von einem Treffen oder es wurde abgesagt, um dann doch statt zu finden. Wahrscheinlich denke ich einfach zu strukturiert oder das „Denken“ generell ist mein Problem. Mein Deutschkurs musste leider ausfallen in dieser Zeit. Ihr könnt euch vorstellen, dass das Laune-Barometer nicht steigt, wenn ich stattdessen die Zeit mit sinnlosem Warten verbringen muss.
Der schönere Teil der Vorbereitungen war die Auswahl eines Saris für mich. Rot-grün sollte er sein – also ganz traditionell. Zum Sari gehört eine Bluse. Wir schafften am Dienstag ein Stück knallroten Stoff zum Schneider. Leider war die Bluse Samstagabend immer noch nicht fertig. Ein anderer Schneider nähte sie für viel Geld am Sonntag gerade noch rechtzeitig fertig.
Bei dem Thema Armreifen rollte das nächste Problem auf uns zu. Meine Arme sind ja nun nicht fett; sie sind nur etwas größer ausgefallen als bei den indischen Frauen. Unter Schmerzen quetschte ich mich in die „größten“ Exemplare hinein. Zum Glück waren sie aus Metall und nicht wie üblich aus Glas.
Samstagabend fuhr ich extra nach Udupi zum Big Bazaar, um mir professionell Mehndi auftragen zu lassen. Ich blätterte durch ein Buch und entschied mich für ein edles Motiv auf dem Handrücken. Aus Zeit- und Kostengründen verzichtete ich auf die traditionelle Brautbemalung von Handinnenflächen und Füßen. Der Künstler legte los und zauberte in Windeseile traumhafte Motive. Neben mir saß ein kleines Mädchen, das sich ebenfalls bemalen ließ. Als der andere Mann fertig war, kam er zu mir und übernahm meine rechte Hand. Die beiden Motive unterschieden sich gravierend voneinander. Bei den Fingern schien er endgültig keine Lust mehr gehabt zu haben. Er pinselte schnell ein paar Streifen hin und fertig. 



Beim Schlendern durch das Einkaufszentrum musste ich aufpassen weder Personen noch Gegenstände meine Hände streifen zu lassen. Nichts berühren – wie es wohl das kleine Mädchen geschafft hat? Das auffällige Braun auf weißer Haut war natürlich wieder ein Hingucker. 


 
Am Sonntag war es soweit. Das Programm begann halb 2 in der Golden Jubilee Hall. Als wir ankamen, wurden gerade die Pokale verteilt und geredet und geredet – natürlich nicht auf Englisch! Unsere Firma MDS sahnte besonders viele Preise ab, u.a. Geld und Handys. Interessant war, dass die Sitzplätze der Halle in zwei Einheiten geteilt waren. Schilder wiesen darauf hin, dass die eine Hälfte für Männer sei und die andere für Frauen. Erst als ich zwischen Guillaume, Martin und vielen anderen Männern saß, fiel mir mein "Faux-Pas" auf.
Für die nächsten Stunden durfte Martin sich das Programm anschauen mit dem Auftrag alles medial festzuhalten, während ich vorbereitet wurde. 

Drei meiner Kolleginnen im Sari als freiwillige Helferinnen.
Unter dem Kostüm befindet sich übrigens Bijoor. Er war der Bräutigam bei meiner ersten indischen Hochzeit und ist in meiner Firma für die Produktfotografie zuständig.
Meine Kolleginnen und Kollegen in typischen Karnataka-Tanzkostümen.
Ein Mann als Frau verkleidet. Seinen "Tanzstil" dürft ihr weiter unten im Video bewundern.
Kurz vor dem Auftritt: Priyanka zupft an Reshma herum.
Wieder Tänzer meiner Firma in schicken Outfits.
Video:
- Anusha und eine andere Kollegin moderieren in der hiesigen Sprache Kannada die Show von MDS.
- Mitarbeiterinnen einer anderen Firma tanzen für den Gott mit Elefantenkopf Ganesha.
- Mann als Frau verkleidet tanzt. (siehe oben)
- Die Tanzgruppe von MDS. (siehe oben)



Zur gleichen Zeit saß ich im Umkleidezelt. Zuerst waren meine Haare dran. Ein Kollege flocht zwei Zöpfe an meinem Kopf entlang. Von meinen Haaren war nicht mehr viel zu sehen, als er die typischen Blumen und eine bunte „Girlande“ befestigt hatte. Danach bekam ich von Prajna rote Farbe mittig auf Stirn und Haar gekleistert – das Zeichen der verheirateten Frau. ;)

Schnell noch einmal üben vor dem großen Auftritt.
Es war Zeit zum Ankleiden. Ich quetschte mich in die sau enge Bluse – in Indien presst man scheinbar gerne. Mit Hilfe von zwei Mädels und vielen Sicherheitsnadeln wurde ich in das Hochzeitsgewand befördert. Dann hing man mir Unmengen von Schmuck um. Auf dem Schminkstuhl wurde es richtig hektisch. Die vielen Schichten Lippenstift landeten nicht nur auf meinem Mund, sondern auch meine Zähne kamen in den rosa Genuss. Die Mädels gaben mir immer wieder ausversehen Anweisungen auf ihrer Sprache statt in Englisch. Es ist sowieso schade, dass ich hier nie mithören kann, was sich alle immer so angeregt erzählen. Da verpassen ich und meine Blogleser jede Menge Interessantes.
Prajna wurde „leicht“ hysterisch. Das ganze Mädels-Umkleide-Zelt verwandelte sich in eine chaotisch-hektische Nervenanstalt. Unsere Männer hingegen posierten draußen entspannt vor der Kamera.

In letzter Minute fiel einer auf, dass ich noch keine Armreifen trug. Schreie folgten kreuz und quer durch das Zelt. Ich sollte Anushas Armreifen tragen. Sie waren nicht nur extrem eng, sie waren noch dazu aus Glas! In der Hektik hatte ich echt Angst, dass es ein blutiges Ende an meinen Handgelenken geben würde. Nichts passiert; ich hastete bzw. watschelte Richtung Bühne. Der Sari zwang förmlich zum langsam Laufen. Mein Gang hatte fast etwas Geisha-Ähnliches.
Zum Glück hatte ich mir doch keine neuen Schuhe für den Auftritt gekauft – hier heiratet man barfuß.

Bühne frei!

In der Fashion Show traten die drei zentralen Religionen Hinduismus, Christentum und Islam auf. Die anderen Brautpaare waren im Stil verschiedener indischer Regionen gekleidet.

1             Manipuri             Sushma und Prateek     (fehlen am Anfang des Videos)
2             Bengali                 Sushmitha und Manoj
3             Muslim                 Priya und Praveen
4             Christian              Komal und Shasikath
5             Marati                  Gayathri und Dobin
6             Coorg                   Chaitra und Manjunath
7             Kerala                   Rachana und Chethan
8             Jammu & Kashmir           Pooja und Sandeep
9             Punjab                 Priyanka und Tony
10           Tamil                     Sandya und Rajesh
11           Karnataka           Sabine und Guillaume

Priyanka und Tony in der Tracht des indischen Bundesstaates Punjab. Der Name Punjab kommt aus dem Persischen und bedeutet wörtlich „fünf Wasser“. Der Name verweist auf die fünf großen Flüsse Beas, Jhelam, Chanab, Ravi und Satluj, welche die Region durchfließen.


 
 
mit Sushma und Prateek (Manipuri)



Nach der Fashion Show begeisterten unsere Mädels mit dem beliebten Punjabi-Tanz.

Priyanka glänzt mit ihrem Talent - sie hat an jedem Tanz und bei der Fashion Show teilgenommen.





Nach der Show waren alle glücklich und zufrieden – aber erschöpft. Endlich Zeit für ein paar Fotos. Kleiner Wermutstropfen: Mein geliebtes weißes Top ist mir in dem Trubel abhanden gekommen.


Die liebe Comal und ich. Ich habe schon öfters gescherzt - wenn sie in westlichen Klamotten und ich in indischen Klamotten auf Arbeit kam, dass sie doch an meiner Stelle nach Deutschland fahren sollte. Es würde keinem auffallen.
Mein Teilzeit-Bräutigam

Der Richtige


Von links: Rachana und Chethan repräsentieren Kerala, ein Bundesstaat im Südwesten Indiens. Der Name Kerala bedeutet wörtlich „Land der Kokospalmen“. Priya als Muslimin. Pooja für Jammu & Kashmir. Jammu und Kashmir ist der nördlichste indische Bundesstaat und Teil der zwischen der Volksrepublik China, Indien und Pakistan umstrittenen Region Kaschmir. Sandya und Rajesh (Tamil).


Der Karnataka-Style

Eine glückliche Braut (mit jeder Menge *blingbling*)


Die häufigsten Komplimente, die ich zu hören bekam: „You’re looking like a princess!“ oder „You’re looking like a doll!“ Mit „Puppe“ meinen sie, dass alles einfach perfekt passt und es sei ein großes Kompliment. Als ich das zum wiederholten Mal hörte, antwortete ich: Ich würde lieber wie ein Mensch aussehen.


Welcome back: Fast wieder die alte Bine! ;)