Samstag, 9. April 2011

26/ Kleider machen ... Sorgen



Shopping – 1. Versuch

Es ist jetzt Sommer in Indien und wir sind kurz davor Spitzentemperaturen ertragen zu müssen. Da ich auf Arbeit schlecht in Minirock und Top auftauchen kann, ist es an der Zeit auf indische Kleidung umzusteigen. Die nächstgelegene Shoppingsoase ist Udupi. Zeit für ausgiebiges Shopping habe ich allerdings nicht. 6 Tage die Woche arbeite ich und meine Freizeit beginnt ab 18.00 Uhr. Am freien Sonntag sind alle gröβeren Geschäfte geschlossen. 
Trotzdem haben Martin und ich das begrenzte Zeitfenster am Samstagabend genutzt und sind nach Udupi gefahren. Wirklich lukrativ war diese Shoppingstour aber nur für ihn. Erst haben wir einen Rucksack gekauft: Marke „JanSport“. Der Verkäufer sagte uns, er produziere sie selbst. Als er dann ohne Zögern auf unsere geforderten 100 Rupien Preisreduzierung eingegangen war, stand mal wieder fest, dass wir zu teuer gekauft hatten. Wenige Zeit später war der Rucksack bereits kaputt. Wir konnten ihn aber umtauschen – jetzt haben wir wieder das gleiche Modell, das auch schon erste Risse zeigt.



Als nächstes ging es zum Big Bazar, den Prajna mir wärmstens empfohlen hatte. Das ist ein groβes Einkaufszentrum, wo es einfach alles gibt. Für Martin kauften wir ein schickes Hemd und zwei Poloshirts, da er in der Uni nichts ohne Kragen tragen darf. Kurze Hosen sind auch verboten – so quält er sich jeden Tag in Jeans in die Uni.



Ich war auf der Suche nach einer sommerlichen Hose oder einem Rock, aber ich fand nichts. Dann klapperten wir kleinere Geschäfte danach ab. Nach langem Suchen - da in meiner Gröβe kaum etwas zu finden ist - habe ich schlieβlich eine aufgeplusterte schwarze Stoffhose mit Goldverzierung gefunden. Einzig und allein ein Strick dient zur Befestigung. Das Gute daran, man merkt nie, wenn man zugenommen hat. Auch bestens geeignet für Schwangere. Martin handelte die Hose kämpferisch um 40 Rupien runter. Einen Rock fand ich nicht. 
Da ich wenigstens ein luftiges Kleidungsstück haben wollte, probierte ich in einem anderen Geschäft verschiedene lange Kleider an. Sie hingen alle langweilig herunter und hatten keinen Schnitt. Außerdem unterscheidet sich mein Geschmack gravierend von dem indischen. Hier laufen alle in knalligen Farben mit Blümchenmustern rum. Ich bevorzuge eher den schlicht-sportlichen Business-Stil. Also muss ich ein paar stilistische Kompromisse eingehen. Endlich hatte ich dann ein recht passables grün-schwarzes Kleid gefunden – die Verkäufer versicherten mir, dass der Schneider es noch enger machen und als Blickfang eine Verzierung an Hals und Bund nähen könne. Ich war zufrieden.
Zu guter Letzt löste Martin noch sein Geburtstagsgeschenk ein – wir kauften ihm eine neue dicke Matratze. Der Gute hat schon viel zu lange unter starken Rückenschmerzen gelitten und ist aus dem Bett gekrabbelt wie ein alter Opa. Unser Bett hat ja keine Federn, sondern besteht nur aus hartem Holz und einer mittlerweile ausgelegenen 2 cm dicken Matratze. Die Neue transportierten wir per Riksha nach Hause.

Zwei Tage später fuhren wir wieder nach Udupi, um mein Kleid vom Schneider abzuholen. Die silberne Verziehung war sehr gut gelungen, aber das Kleid noch nicht annähernd körperanliegend. Er musste also noch mal ran und wir spazierten derweil durch Udupi. 


Udupi
 
Blumenverkäufer
Spektakel vorm Tempel


Dann begegneten wir noch ein paar Jungs. Einer wollte unbedingt unsere Namen auf seinen Arm geschrieben bekommen. Verwundert schauten wir uns an, erfüllten ihn aber diesen Wunsch.


 

Die Blamage

Am nächsten Morgen trug ich stolz mein neues grünes Kleid auf Arbeit. In der brennenden Hitze war das luftige Kleid genau das Richtige. Nur unten war es etwas eng geschnitten, so dass in den Bus steigen und schnell große Schritte laufen plötzlich schwerer wurde. Ich fühlte mich herrlich indisch. Den Blicken zufolge erregte das auch Aufmerksamkeit.
Auf Arbeit besuchte mich Priyanka an meinem Platz und ich stand extra auf, damit sie mein neues Kleidungsstück im vollen Ausmaß bewundern könne. Das Äußere ist hier ja sehr wichtig und wird immer genaustens begutachtet, gelobt usw. Priyanka schaute mich aber etwas mitleidig an und suchte nach Worten. Sie begann „Actually...“, „Eigentlich tragen wir das hier nachts. Es tut mir Leid.“. Ich starrte sie ungläubig an und erwiderte: „Wie bitte? Warum hat mir das der Verkäufer nicht gesagt? Er hätte spätestens dann merken müssen, was ich damit vorhatte, als ich einen Gürtel drum gemacht habe und ich es durch die silberne Verzierung aufpeppen wollte.
Priyanka war nun also diejenige, die mir mutig sagte, was mir da für ein Faux-Pas unterlaufen sei. Sie fügte hinzu: „Es ist voll und ganz verständlich, dass du nicht so viel über indischen Lifestyle weißt. Das ist gar nicht schlimm. Aber bitte behalte deine Jacke heute an. Zieh sie nicht aus. Wenn du die Jacke trägst, könntest du sie glauben machen, dass du eines deiner traditionellen langen Kleider trägst. Menschen hier wissen kaum etwas über deine Kultur. Sie werden dir glauben. Behalte die Jacke selbst in der Mittags- und Teepause an. Ich hoffe, das ist ok für dich.“ Ich nickte zustimmend und konnte das alles gar nicht glauben. Das ist natürlich das, was man hören möchte, wenn man stolz sein neues Kleid präsentiert: „Du hast dir ein Nachthemd gekauft und bist damit durch die ganze Stadt gelaufen und auf Arbeit gegangen.“ Ein Alptraum!
Sie fuhr fort: „Das Kleid ist eigentlich sehr hübsch. Das Problem ist halt nur, dass die Damen es hier nicht außerhalb des Hauses tragen. Ich hoffe du verstehst, was ich sagen will. Und ich hoffe sehr, du nimmst es sportlich und fühlst dich keinesfalls unangenehm berührt.
Nach diesen Worten war ich leicht geschockt. Aber woher hätte ich das auch wissen sollen? Ich bedankte mich jedenfalls bei Priyanka, dass sie die Einzige und Erste war, die mich vor Schlimmeren bewahrt hat. Daran erkennt man richtige Freunde – sie scheuen sich auch nicht Unangenehmes zu sagen. An ihrer heftigen Reaktion konnte ich mir ungefähr ausmalen wie tief ich ins indische Fettnäpfchen getreten war – Kulturschock pur. Für mich sah es nunmal überhaupt nicht wie ein Nachthemd aus. Dann könnte man ja die weiten Kleidungsstücke der Frauen hier auch mit Schlafanzügen verwechseln. Und ein Sari ist auch nur ein langes Kleid, aber das ist natürlich wieder etwas ganz anderes. Jetzt habe ich wieder nichts zum Anziehen für die Hitze.
Als an einem anderen Tag meine neu erstandende schwarze Hose zu einem engem Oberteil trug, sagte man mir ich sähe aus wie eine Afgahnin. Ich weiß nicht genau, ob das jetzt positiv gemeint war. Inderinnen tragen zu solchen Hosen sehr weite lange Oberteile, die ich schon als Kleid bezeichnen würde. Außerdem ließen sie mich wissen, dass ich für die Hose mal wieder viel zu viel bezahlt hätte.



Shopping – 2. Versuch

Das alles führte wahrscheinlich dazu, dass meine Arbeitskolleginnen sich bereit erklärten mit mir shoppen zu gehen. Am Freitagabend ging ich mit Priyanka und Comal zu „very cheap shops“ in Manipal. Das waren einfach nur kleine Stände an der Straße mit ein paar Tops. Am Ende ging ich dann mit zwei davon nach Hause. Sie waren schwarz und violett, aber wenig indisch – davon habe ich ja eigentlich genug im Schrank.
Samstag ging ich dann mit Prajna shoppen. Damit ich mein neues indisches Nachthemd nicht wegschmeißen musste, suchten wir einen Schneider auf. Besser gesagt war das ein winzig kleiner Raum im versteckten Hinterhof, wo sich eine Nähmaschine und ein Mann drin befanden. Er sollte mir das Nachthemd zu einem Kleid oder wie man in Indien sagen würde „Top“ umschneidern lassen. Zwei Tage später konnte ich mein neues schickes Kleid abholen. Die Schlitze an der Seite musste er allerdings wieder zu nähen. Sie waren so groß, dass ich das unmöglich ohne Hose hätte tragen können. In Indien sind solche Seitenschlitze von Kniehöhe bis zur Hüfte in Mode - allerdings mit Hose. 




Von Manipal nach Udupi

Wir begaben uns auf Shoppingtour nach Udupi und betraten als erstes ein großes Stoffgeschäft namens „Saidam". Da die meisten Geschäfte keine Klamotten in meiner Größe haben, ist es besser sich seine Sachen schneidern zu lassen. Das ist mitunter preisgünstiger und gang und gäbe in Indien. Ich wühlte mich durch unheimlich viele Stoffballen verschiedenster Preisklassen. Viele fielen wegen ihrer zu kitschigen Muster oder warmen Farben heraus. Es brauchte schon etwas Vorstellungskraft, um anhand der Stoffe ein fertiges indisches Outfit vor Augen zu haben. Am Ende entschied ich mich dann für einen weißen und einen blauen Stoff. Auch wenn Blümchen darauf zu sehen waren, sahen sie modern aus und ich konnte mir vorstellen, das auch in Deutschland zu tragen. Beim Schneider Prajna’s Vertrauens blätterten wir unheimlich viele Zeitschriften mit Mustern durch. Schließlich musste ich mich entscheiden, welcher Schnitt und welche Länge, wie Arme, Rücken und Dekoltee zu gestalten sind und wie groß die Schlitze sein sollten. Dann wurde ich komplett ausgemessen – der kleine Mann streckte beide Arme in die Höhe, um an mich ran zu kommen. In einer Woche wären die beiden Stücke dann fertig.


Im Anschluss gingen wir in ein Kaufhaus, um nach „Accessoires“ Ausschau zu halten. Prajna fragte mich, was ich bräuchte, aber mir fiel irgendwie nichts ein.
Um in die zweite Etage zu gelangen, sollte man möglichst keinen (kurzen) Rock tragen so wie ich. Denn die Treppe war so frei gebaut, dass unten alle guten Durchblick nach oben hatten. In der zweiten Etage blieb ich dann doch wieder bei den Klamotten hängen. Wir suchten aus den Stapeln Oberteile nach meinem Geschmack und meiner Größe nahe kommend heraus. Ich verschwand in die extrem stickige Umkleidekabine. Zwei Teile gefielen und passten. Beide waren, wie alle indischen Tops, sehr lang. Das Eine war weiß-schwarz kariert im westlichen Stil. Das Andere war weiß – nur Dekoltee und Saum waren bunt mit Pailetten verziert – schon ziemlich indisch. Gleich zu Anfang setzen die Verkäufer einen Rabatt auf den Preis an, der aber laut Prajna immer noch zu hoch war. Es folgte Feilschen par excellence. Trotz längerer Diskussion blieben die Verkäufer stur und argumentierten mit sehr guter Qualität. Prajna brachte an, dass wir solche Oberteile woanders billiger gesehen hätten, nur nicht in der richtigen Größe. Zuletzt versuchte sie es damit, dass so ein großes Kaufhaus wohl etwas mehr Rabatt geben könnte. Sie blieben hart und ich wendete einen Tipp meines Indien-Ratgebers an. Ich sagte zu Prajna, dass wir jetzt in ein anderes Geschäft gehen. Plötzlich sprang der Verkäufer auf, er wolle noch mal mit seinem Chef reden. Zu guter Letzt hatten wir dann den Preis, den wir wollten. Wir sind einfach ein super Team!

Prajna fährt ohne Führerschein


Zum Schluss unserer Shoppingtour wollte Prajna noch ein Geburtstagsgeschenk für ihren Freund kaufen. Sie schleppte mich in zig teure Herrengeschäfte auf der Suche nach einem Hemd, das er noch nicht hat. Wenn jemand Bekanntes sie dort reingehen sähe, dann wollte sie sagen, sie hätte mich nur begleitet. Alles andere werfe wieder unnötige Fragen auf. Die Arme hat es schon nicht leicht. Am Ende hat sie aber doch nichts gekauft. Es war schon spät am Abend, sie setzte mich ab und fuhr noch mal auf Arbeit. Ich war überglücklich mit Shoppingprofi Prajna an meiner Seite so erfolgreich indisch eingekauft zu haben.



Der Reinfall

Dass indische Klamotten extrem Farbe verlieren bzw. abfärben, hatte ich schon beim Waschen meines neuen grünen Kleides bemerkt. Das Wasser färbte sich binnen Sekunden gefährlich dunkelgrün – vielleicht eine gute Idee Ostereier zu färben. Nun wollte ich meine beiden neuen Errungenschaften waschen, bei denen ich so hart gefeilscht hatte. Sie waren (größtenteils) weiß, so dass ich sie zusammen im Eimer einweichte. Als ich sie dann waschen wollte, fiel ich fast ihn Ohnmacht. Das Wasser war alles andere als klar und knallbunte Flecken zierten plötzlich meine weiße Wäsche. Wie kann das sein? Schnell entdeckte ich den Übeltäter: Es waren die bunten Verzierungen des weißen indischen Oberteils.
Jetzt waren beide Oberteile total versaut von der Farbe und sie ging nicht mehr heraus. Hatte ich zuviel Waschpulver genommen oder sie zu lange eingeweicht? Und da bin ich schon froh, dass ich hier nur per Hand wasche. Aber wenn das Kleidungsstück auf sich selbst abfärbt, dann kann ich es ja nie waschen. Tolle Qualität, liebe Verkäufer! Shoppen macht hier einfach keinen Spaß – alles ist gleich dem Mülleimer geweiht. Zum heulen.
Meine letzte Hoffnung war die Wäscherei, aber selbst die sagten es sei unmöglich sie wieder sauber zu bekommen. Sie versuchten es trotzdem. Nach einigen Tagen bekam ich dann beide Stücke wieder. Das Eine war nach wie vor unfreiwillig bunt (erinnert mich an Holi), aber bei dem Anderen waren alle Flecken komplett verschwunden...juhu wenigstens eins!
Ich bin schon gespannt auf die nächste Wäsche. Ist ja echt nervig mit den indischen Klamotten, wenn ich jedes Stück einzeln waschen  muss. Tja, Kostenersparnisse wachsen eben oft indirekt proportional zu Zeitersparnissen.
Die neue Hose und das böse abfärbende Oberteil



3 Kommentare:

  1. Na jetzt wär ich aber mal gespannt auf ein Foto von dir im grünen Kleid bzw. Nachthemd :D Echt eine lustige Storry!

    Viele Grüße
    Sylvie

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  2. Von dem ursprünglichen Nachthemd habe ich leider kein Foto...ich habe es nach dem Tag enttäuscht in die Ecke geworfen und dann erst wieder angefasst, als ich es zum Schneider gebracht habe. Jetzt sieht es aus wie ein ganz normales Kleid. Na gut, das sah es für mich ja auch schon vorher.
    :)

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  3. oh man, schade :)
    wünsch euch noch ne schöne zeit! so lang ist es ja gar nicht mehr...
    lg sylvie

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