Samstag, 26. Februar 2011

14/ Deutsch für Anfänger

Vor einiger Zeit sagte mein Chef zu mir: „Du kannst uns doch Deutsch beibringen!“ Ich dachte, es wäre nur dahin gesagt, aber hier ist man alles andere als oberflächlich. Es war sein voller Ernst und ich durfte mich mit dem Gedanken anfreunden, zum ersten Mal in meinem Leben Lehrer zu sein. Mrs. Meier erweitert ihren beruflichen Horizont.
Das „Lehrer-Gen“ habe ich bestimmt im Blut – schließlich hat meine Familie schon erstklassige Lehrpersönlichkeiten hervorgebracht. Meine Großeltern mütterlicherseits haben beide an der TU Chemnitz Studenten gestrietzt. Es kann kein Zufall sein; meine Oma gab dort vorrangig Deutschunterricht für Ausländer. Während sie die Deutsch-Kenntnisse von Doktoranden auf höchstes sprachliches Niveau zu steigern wusste, werde ich an der indischen Front ganz bei 0 anfangen. Dank Skype konnte sie mir schnell noch wichtige Kniffe und Tricks verraten.

Mit Powerpointpräsentation und Arbeitsblatt war ich bestens vorbereitet. Vor mir saßen erwartungsvoll der Chef, einige Abteilungsleiter und Leute aus dem Marketing. Los ging’s: „Welcome“. Zuerst fragte ich nach deutschen Wörtern, die sie bereits kennen: „Schäferhund“ und „Volkswagen“. Dann erklärte ich ihnen ,warum es gut ist, einer der über 120 Millionen Menschen zu sein, die Deutsch sprechen.
In jeder Stunde erfahren sie außerdem Wissenswertes über Deutschland (natürlich auf Englisch). In der ersten Stunde waren die Flagge und das Wappen dran. Bei der Frage, welche Bedeutung die Farben schwarz, rot, gold hätten, musste ich erstmal passen.





Beim geografischen Teil ist besonders erwähnenswert, dass Indien 9-mal größer ist als Deutschland. Die BRD grenzt an mehr europäische Staaten als jedes andere Land auf dem Kontinent. Großes Interesse zeigten sie natürlich beim Thema Wirtschaft: Nachdem Deutschland von 2003 – 2008 Exportweltmeister war, mussten wir den Titel ab 2009 an China abtreten. Deutschland ist also die zweitgrößte Export- und drittgrößte Importnation (2009). Der Dienstleistungssektor hat in Indien und Deutschland den größten Anteil an der Gesamtwirtschaftsleistung. Im Gegensatz zur BRD ist Indien aber immer noch sehr stark agrarisch geprägt.


Nun zum sprachlichen Teil meines Unterrrichts: Die deutsche und die englische Sprache haben sehr viel gemeinsam. Oft erkennt man an der Schreibweise der Wörter denselben Ursprung; die Aussprache kann natürlich unterschiedlich sein: word - Wort. Dennoch ist Deutsch eine strukturiertere Sprache als Englisch und hat eine komplexere Grammatik. Deswegen gibt es auch einige Unterschiede: Deutsch hat drei verschiedene Artikel, mehr Buchstaben (ä, ö, ü, ß), Substantive werden groß geschrieben, „ich“ wiederum nicht usw.
Bei der Aussprache sind Wörter wie „ich“, „Buch“, „Tschüss“ und „schlecht“ (ganz fieses Wort) die größten Herausforderungen. Martin hat vorgeschlagen ich solle ihnen den ch-Laut anhand von Ausspucken erklären – das würde genauso klingen. Wenn ich es ihnen oft genug laut und deutlich vorspreche, schaffen sie meist auch die schwierigen Silbenkonstellationen.
Ich kann also sehr stolz auf meine Klasse sein. Alle sind interessiert, fragen viel und sprechen mir alles fleißig nach. Einer der älteren Abteilungsleiter weiß meine Aufmerksamkeit stets besonders auf sich zu ziehen. Ich hatte sie gebeten mit Hilfe einer Vokabelliste einen kleinen Dialog zu übersetzen. Er meldete sich „Excuse me.“ und stellte etwas empört fest, dass ein Wort nicht in der Vokabelliste aufgeführt sei. Ich antwortete verständnisvoll: „Das Wort ‚Franz‘ ist der Name.“ Da hatte der Fragende die Lacher auf seiner Seite.
Überhaupt gibt es immer viel zu lachen im Deutsch-Unterricht; besonders, wenn ich aus Versehen die Lösung vorsage oder mich beim ständigen Wechsel zwischen Deutsch und Englisch verheddere. Sehr flexibel muss ich auch bei der Anwesenheit sein. Der Unterricht findet jeden Tag (Mo-Sa) von 16.30 – 17.15 statt. Nicht immer sind wir vollständig. Das hat zur Folge, dass ich zu Beginn manchmal zwei Unterrichtseinheiten für die Vermissten kurz zusammenfassen muss. Das ist nicht weiter schlimm, da Wiederholungen auch für die anderen von Vorteil sind. Es ist schön, dass diese vielbeschäftigten Menschen überhaupt bereit sind eine neue Sprache zu erlernen und dafür jeden Tag eine ¾ Stunde ihrer Zeit opfern.
Für mich hat es den Effekt, dass ich mich hier gleich noch ein bisschen heimischer fühle, wenn ich jetzt auf Deutsch begrüßt und verabschiedet werde. Der ehrgeizige Chef wagt sogar schon erste deutsche Skype-Unterhaltungen mit mir.


Mittwoch, 23. Februar 2011

13/ Der schlimmste Tag des Jahres ;)


Von indischen Geburtstagen hört man ja so einiges: Geburtstagskinder sollen geschlagen werden oder bekommen eine Torte ins Gesicht geworfen. Dass der Geburtstag nicht unbedingt der schönste Tag des Jahres sein muss, habe ich diese Woche live miterlebt. Zum Glück habe ich erst im Juli Geburtstag.
Es soll hier ja so Sitte sein, dass das Geburtstagskind seine Gäste ins Restaurant einlädt und die Rechnung bezahlt. Das klingt bis jetzt noch nicht zu abwegig. Wenn man allerdings seine 20 Kommilitonen einlädt, kann man das Ausmaß des Abends vielleicht schon abschätzen. Nicht umsonst fragte das Geburtstagskind ein paar Tage zuvor meinen Freund Martin, ob er nicht mitfeiern wolle; zu Deutsch: die Rechnung mitbezahlen wolle. Schließlich hätte er doch eine Woche später Geburtstag. Während Martin schon fast zugesagt hätte, ist er nach diesem Abend sicherlich froh, dass ich ihm strikt davon abgeraten habe. Wir machen lieber unsere eigene Party nach deutschen Maßstäben (Ein bisschen darf man wohl noch auf seinen Traditionen beharren). Sowieso ist Vorfeiern das Allerschlimmste überhaupt.

Als Gäste machten wir uns also am besagten Abend auf den Weg in ein Restaurant. Laut Martin war Punkt 7 Treffpunkt. Ich zweifelte schon etwas, aber Martin zur „Unpünktlichkeit“ zu bringen, ist in etwa so schwer wie eine Katze zu überreden beim Fallen doch mal auf dem Rücken zu landen, anstatt auf allen Vieren. Wenige Minuten vor 7 waren wir also da. Wir ganz allein – das sollte eine gefühlte Ewigkeit so andauern. Das Szenario war Folgendes: Meine Abneigung gegen Warten (obwohl ich auch ein sehr pünktlicher Mensch bin) kollidierte mit Martins Pünktlichkeitsdrang. Mit mehreren Anrufen vergewisserten wir uns, dass wir nicht vor dem falschen Restaurant standen. Die Mägen knurrten gefährlich. Ein Spaziergang und teure Einkäufe beim Obsthändler (Birnen und Orangen) ließen die Zeit nicht schneller vergehen.
Fast eine halbe Stunde später tauchte dann das Geburtstagskind Devicharan (DC) auf; vollständig waren wir um 8 noch nicht. Im Restaurant wurden zunächst Tische wild verschoben bis nach mehreren Anläufen eine lange Tafel entstand. 
 

Hungrig, wie wir waren, überlegten wir uns schon mal, was für ein (!) Essen wir bestellen sollten. Dabei plagte mich mein schlechtes Gewissen, da ich doch der einzige Nicht-Kommilitone war und trotzdem „eingeladen“ wurde. Das Geburtstagskind fragte uns nach „Starters“. Da dachte ich: „Ok, dafür, dass wir so lange gewartet hatten und jetzt immer noch nicht alle da sind, darf ich mir wohl ein preiswertes Süppchen auf dessen Kosten genehmigen“. Ich entschied mich für eine French Onion Soup. Von mundgerechter Temperatur der Speisen schienen sie noch nichts gehört zu haben und etwas anderes als Knoblauch vermochte ich nicht zu schmecken. Die Plätze an der Tafel füllten sich. Mehr und mehr Starters wurden aufgetischt, bis die Tafel einem Buffett glich. Fleißig wurden Suppen, French Fries und gebratene Hühnchenschenkel hin und her gereicht. Ich befürchtete schon satt zu sein, bevor ich überhaupt mit der Hauptspeise angefangen hatte. Da das Geburtstagskind mir direkt gegenüber saß, hatte ich dessen Gesichtsausdruck immer gut im Blick. Aber auch als alle Unmengen von Hauptgerichten bestellten, konnte ich weder Entsetzen noch Unmut feststellen. Als wir dann noch aufgefordert wurden Nachtisch zu bestellen, legte ich sämtliche deutsche Bescheidenheit ab: Zwei Milchshakes und ein Eisbecher American Beauty gingen auf mein Konto. Damit fiel ich gar nicht weiter auf im süß-indischen Nachtischwahn.
Spätestens jetzt war ich überzeugt, dass Studenten wohl zu den reichsten Menschen der indischen Bevölkerungspyramide gehören mussten. Wer vermutet, dass man die Kosten zumindest teilweise mit den üppigen Geschenken aufwiegen kann, der hat weit gefehlt. Außer zwei schicken Glückwunschkarten und einer Tasse gab es nichts für das Geburtstagskind. Da standen wir mit unseren deutschen Coca Cola Gummibärchen gar nicht so schlecht da. 


Abgesehen vom köstlichen Essen war der Abend äußerst unterhaltsam. Besonders Digvijay beherrschte es perfekt, sämtliche Professoren und Kommilitionen zu imitieren und deren „kleine Schwächen“ gekonnt in Szene zu setzen. Selbst Martin blieb nicht verschont. Das ganze Restaurant lag flach und weinte Tränen vor Lachen.
Wir bescherten dem Restaurant einen Spitzenumsatz und eine lautstarke Abendunterhaltung – zumindest letzteres wäre in Deutschland undenkbar. Wohlbemerkt alles ohne einen Tropfen Alkohol!



Dienstag, 22. Februar 2011

12/ Großeinkauf und Manipals Todesfalle

Samstag nach der Arbeit traf ich mich mit Martin am Tiger Circle – Manipals belebtem Zentrum. Das war bereits der zweite Versuch diese Woche. Beim ersten Mal ging es komplett schief u.a. durch kurzfristige Vorhaben meiner Vorgesetzten, die sie in letzter Minute wieder absagten. Ein weiterer Grund für unsere Kommunikationsprobleme war, dass ich hier ohne Handy überlebe. Bis jetzt bin ich ganz gut klar gekommen. Für die Inder hier ist es wie für die Deutschen - lebensnotwendiger Begleiter.
Jedenfalls trafen wir uns Samstagabend wie verabredet am TC. Schnurstracks gingen wir in ein eher hochpreisiges Restaurant. Das Gute war, unter fast jedem Gericht stand tatsächlich eine Beschreibung der Inhalte in Englisch. Wir bestellten eine Chicken-Hawaii-Pizza. Sie war doppelt so hoch, wies aber nur die Hälfte des Durchmessers deutscher Standardpizzen auf. Der typische Haiwaii-Geschmack fehlte. Als Zweites gab es Kai Manchurian. Das ist Chicken (Hühnchen), Egg Fried Rice (gebratener Reis mit Ei) und Manchurian Soße – total lecker, weil gar nicht scharf.

Dann stand der Großeinkauf an, denn im Kühlschrank herrschte gähnende Leere. Im Supermarkt ist es für indische Verhältnisse relativ teuer und Großverpackungen sucht man vergebens. Jedesmal stehe ich heißhungrig vor dem Cornflakes-Regal. Doch gerade bei solchen leckeren Sachen haben sie keine indischen Pendants. Sie importieren also Cornflakes (Kelloggs) oder auch Cremes (Nivea) – die Preise sind dementsprechend hoch. Das ist zwar noch nicht das Totschlagargument es nicht zu kaufen, aber so eine Packung ist bei mir ganz schnell leer gegessen, die Milch muss dazu gekauft werden sowie eine Schüssel und Löffel. Ich muss mich wohl von meiner liebsten deutschen Zwischendurchmahlzeit verabschieden. Dann war ich kurz davor eine Büchse Ananasscheiben und saure Gurken mitzunehmen – da fiel mir ein, dass wir keinen Öffner haben. Blieb nur noch das Süßigkeitenregal. Neben der Prinzenrolle gab es unheimlich viele verschiedene Keksangebote. Die sind hier wahrscheinlich so etwas wie Brot für die Deutschen. Wir kauften Butterkekse für 27 Rupien. Von Großeinkauf noch keine Spur, deswegen war der Bäcker der nächste Halt. Ich ließ mir von allen Keksen etwas einpacken, einen Donut, einen Schoko-Muffin, ein Brötchen und noch einmal 4 Sandwich-Brötchen für 41 Rupien. Da kaufen wir jetzt öfter ein.

Danach erregte eine kleine Menschenansammlung unsere Aufmerksamkeit – sie stand vor einem Junkfood-Stand mit frittierten Leckereien. Es gab kleine Bällchen, dreieckige Teigtaschen mit Kartoffelfüllung etc. – alles jeweils mit Soße. Es schmeckte hervorragend – fettig, aber billig. Wir lernten dort einen Mann kennen, der in Deutschland gearbeitet hatte und jetzt eine eigene Firma im Erdölgeschäft hat und mal da, mal dort wohnt und arbeitet.
Beim Obstladen ließen wir dann noch Gurke, Möhre, Apfel und Melone mitgehen – immerhin haben wir jetzt einen Schäler.

Die Nacht zum Sonntag war, bis auf meine erste Nacht hier, bestimmt die allerschlimmste. Etwas (zwischenzeitlich hielt ich es für ein kleines Mädchen) jaulte die komplette Nacht herzzerreißend irgendwo in erster Tenorhöhe kurz vorm Sterben. Am nächsten Morgen schauten wir aus dem Fenster und sahen einen kleinen weißen Hund an einer Leine festgemacht. Er jaulte und immer wenn er versuchte aufzustehen, knickten die Beine wieder weg.

Jaulender Hund

Sonntags fällt es uns besonders schwer den Tag ohne richtig leckeres deutsches Frühstück zu beginnen. Ich bin ja eine Essensgenießerin und meine Laune steigt proportional mit gutem Essen. Aber wir schaffen das. Wir lassen es uns schon gut gehen. Das erkennt man daran, dass die Höhe unserer Lebensmittelkosten direkt nach der Miete kommen.
Mittags ging es in eine kleine Mensa – von außen nur eine kleine unscheinbare heruntergekommene Hütte. Sonntags gibt‘s Puris und wir schlugen kräftig zu. 


Für den restlichen Teil des Tages hatten wir zwei Ziele – Endpoint und Manipal Lake. Zuerst entschieden wir uns für den Manipal Lake (See) und spazierten Richtung Industrial Area. Wir machten an einem Tempel halt. Dort mussten wir wieder unsere Schuhe ausziehen und hüpften schmerzerfüllt auf den brennend heißen Steinplatten Richtung Schatten.

Krishna Temple
Im Tempel

Danach "kreuzte" eine christliche Schule mit Kirche unseren Weg. Aus Neugier betraten wir sie. Alles war frei zugänglich und keine Menschenseele war zu sehen. 

Kirche

Dann verriet uns der Blick aufs Blaue, dass wir den Manipal Lake erreicht hatten. Wir schreckten noch ein Pärchen auf, dann waren wir da. Kaum zu glauben, aber sonntags bei der Hitze war weit und breit niemand am See zu entdecken. Wir spazierten um den See, denn Baden soll verboten sein – auch wenn ich kein Schild oder Wachpersonal gesehen habe. Man könnte denken Müll und die Nutzung des Sees als Waschmaschine wären die Gründe. Aber nein, das ist kein Hindernis in Indien. Der wirkliche Grund: Im Manipal Lake sinkt man in den Sand ein. Das haben wir schon ein bisschen am Rand gemerkt. Und es gibt gefährliche Strudel. Mehrere Menschen sind darin schon gestorben.

Toter Fisch

Es kostete mich viel Überedungskraft Martin davon zu überzeugen meine Tasche zu tragen. Immerhin war sie mit zwei vollen Wasserflaschen gefüllt. Er, der sich sonst nie zu schade war anzupacken, weigerte sich vorerst hartnäckig. Der Grund war schlichtweg männlicher Stolz. Toll. Gerade hier in Indien, wo uns niemand kennt und die Männer ständig händchenhaltend durch die Gegend laufen. Und es war kein pinkes Täschchen mit Goldverzierungen, es war eine sportliche schwarze Addidas-Tasche...also wirklich. Aber ihr kennt sicher meine Durchsetzungsfähigkeit. Ich war die Tasche los und Martin um eine neue Erfahrung reicher. Man kommt schließlich auch hierher, um Anschauungen und Werte zu überdenken.
Dann begegneten wir tatsächlich noch einer Familie, die großen Wasch- und Badetag am See veranstaltete. 


Langsam wurde die Hitze unerträglich und wir traten den Rückzug an. An meinen Beinen bildeten sich weiße Bläschen – der Sonnenbrand bzw. die abgestorbene Haut von letzter Woche meldeten sich zurück. Das zweite Ziel „Endpoint“ hatte sich damit für heute erledigt. Leider gibt es keinen Schatten, wenn man die Straßen entlang läuft. Überhaupt ist hier jeden Tag das gleiche Wetter. Immer heiß, niemals Regen, niemals Wolken. Das Wetter ist wohl das einzige, worauf man sich in Indien verlassen kann. Der Monsun wird dann bestimmt eine der größten Herausforderungen für uns.
Erfrischung erhofften wir uns von einer Frucht, aus der die Inder gerne trinken. Leider schmeckte ihr Saft nur süß und nicht gut. 

Junge Kokosnuss (Thanks to Anni)

Auch wenn wir lieber alles zu Fuß erlaufen und entdecken, nahmen wir nach dieser Enttäuschung eine Rikscha direkt zu unserem Lieblingseisladen. Wir konnten einfach nicht aufhören und bestellten jeder ca. 3 verschiedene Eisspezialitäten.
Zu Hause angekommen, mussten wir erst mal Ungeziefer aus unserem Kühlschrank entfernen. Wir bestellten uns noch ein paar Snacks: French Fries,Coleslow Salad und Chicken Franki.
Der Tag endete mit dem fast schon typischen Bild: Ich surfe, Martin lernt.



Lasst euch vom deutschen Mistwetter nicht die Laune verderben. Denkt an die vielen tollen Vorzüge, die ihr in Deutschland habt. Wenn das auch nicht hilft, dann kommt uns einfach besuchen! :)


Freitag, 18. Februar 2011

11/ Indien – liebenswert bis schmerzhaft


Jeden Tag, wenn ich von Arbeit nach Hause komme, sage ich zu Martin: „Ich muss dir ganz viel erzählen.“ Teilweise abendfüllend sind dann meine erlebnisreichen, ungewöhnlichen und lustigen Ausführungen. Da ich euch nichts vorenthalten möchte, fasse ich jetzt noch mal für euch meine aufregende Woche zusammen.


Priyanka

Mein Morgen beginnt jetzt immer sehr entspannt. Priyanka hat mir einen Geheimtipp in Sachen Busse verraten. Es handelt sich um einen großen weißen Bus (das ist noch nichts Besonderes), der immer 8.40 Uhr vom Tiger Circle abfährt – der ist sogar pünktlich! Im Bus werde ich von indischer Gute-Laune-Musik und einem netten Platz am Fenster empfangen. Ich genieße den erfrischenden Fahrtwind und betrachte Manipals Landschaft. Nach 5 Minuten werde ich dann direkt vor meiner Firma abgesetzt, die ich mit einem Lächeln auf den Lippen betrete.
Das habe ich Priyanka zu verdanken. Ich schätze ihr sehr gutes verständliches Englisch sowie ihre offene direkte Art. Sie ist herzlich und freundlich wie alle Inderinnen, aber von ihr werde ich nicht nur in Watte gehüllt. Gern lasse ich mich von Priyanka schon mal darauf hinweisen, dass ich zu laut spreche oder nicht gerade laufe. Außerdem wohnt sie ganz bei mir in der Nähe. Die perfekte Freundin für mich, aber allzu viel Gelegenheiten haben wir nicht. In den Pausen habe ich immer meinen festen Mädelskreis um mich herum. Außerdem arbeitet sie ziemlich lange – meist von um 9 bis halb 8. Sie bekommt die Überstunden nicht bezahlt. Ich fragte sie, warum sie das macht. Sie antwortete: „Ich habe so viel zu tun.“ Dann bot ich ihr meine Hilfe an. Als sie mich nach meinen Programmierkenntnissen fragte, winkte ich ab.
Priyanka würde unheimlich gerne einen Tanzkurs besuchen. Aber ihre Eltern erlauben es nicht und viel Zeit hat sie ja sowieso nicht. Daher tanzt sie zu Hause zu Videoclips.
Sie ist so jung und verbringt ihr Leben nur mit Arbeit und mit dem Einhalten von Vorschriften ihrer Eltern. Ich würde mir wünschen, dass sie ihre Träume verwirklicht. Vielleicht kann ich mal etwas mit ihr unternehmen oder ihr ein paar Salsa-Schritte beibringen.


Schmerzvoller Sonnenbrand

Anfang dieser Woche hatte ich ja noch schwer mit meinem Sonnenbrand zu kämpfen. In solchen Situationen merkt man mal wieder, dass wir das Leben unter indischer Sonne nicht immer 1:1 von den Indern übernehmen können. Ich verbrachte die Zeit mit Wadenwickel, Eincremen und Wasserbädern – der Valentinstag fiel somit ins Wasser.
Am nächsten Morgen fragte Vina mich, was ich denn zum Valentinstag bekommen hätte.
Ich schüttelte den Kopf und erklärte ihr, dass wir normalerweise immer etwas Besonderes unternehmen. Ging diesmal leider nicht. Aber bei uns ist sowieso jeden Tag Valentinstag.
Vina berichtete freudig, dass sie ein Kleid und andere Dinge geschenkt bekommen habe.
Sie ist 25 Jahre alt und darf sehr stolz auf ihre 2,5-jährige love marriage (Liebesheirat) mit einem Klassenkameraden sein.


Die „Fremden“ ;)

Mitte dieser Woche saß ich vertieft an meinem Arbeitsplatz. Als ich meinen Blick nach links wendete, blickte ich einige Meter weiter plötzlich in ein weißes Gesicht und stahlblaue Augen. Da erinnerte ich mich wieder, dass Kunden aus den Niederlanden hier für ein paar Tage eine Art Training durchführen wollten. Sie spezialisieren ausgewählte Mitarbeiter auf ihre individuellen Bedürfnisse der Zusammenarbeit.
Wenige Minuten später spazierten drei große weltmännische Was-zu-sagen-Haber durch die einzelnen Abteilungen. Als sie mich sahen, scherzten sie: „Da sitzt ja auch eine typisch indische Frau. ... Sieht wohl eher nach einer Deutschen aus.“ Da fragte ich mich: Sehe ich wirklich so „deutsch“ aus oder waren sie informiert? Dann kamen sie an meinen Tisch und unterhielten sich mit mir. Sie machen etwas mit Publishing usw. und wollen in den deutschen Markt einsteigen. Einer holte sogleich sein iPhone hervor und zeigte mir irgendetwas. Das Ding ist ja unangefochtenes Statussymbol (für Männer) und die Inkarnation von erhöhtem Geltungsbedürfnis in Einem.
Wahrscheinlich lag es aber doch eher an ihrer Hautfarbe, dass die Frauen ihnen kichernd bis anbetend hinterher schauten. Das mache ich zwar nicht, aber teilweise fühle ich mich hier Indern näher als Landesnachbarn oder Hautverwandten.


Indisches All-inclusive-Verwöhnprogramm

Zu dem Thema hatte ich zwar schon mal etwas geschrieben, aber in dieser Woche verdeutlichte sich mir manches umso mehr.
Am Mittagstisch:
Jede schiebt mir ihr Essen in kleinen Metallbüchsen hin und sagt: „Taste!“ (Koste!). Die Mischung aus Höflichkeit und Neugier veranlasst mich zu kosten. Mittlerweile habe ich mir schon angewöhnt zu sagen: „It‘s ok, but ...“ Rutscht mir dann doch einmal heraus, dass es mir gut schmeckt, schaufeln sie mir reichlich auf meinen Teller. Wenn ich es aufgegessen habe, kann es passieren, dass der nächste Berg auf dem Teller landet. So kann es vorkommen, dass ich mein Essen gar nicht anzurühren brauche.
Besonders schlimm ist meine Beste: Sri. Ohne dass ich irgendetwas gesagt hätte, holt sie mir ein Glas (Metallbecher), einen Löffel oder öffnet für mich die verknoteten Tüten, in denen sich Soße befindet. Jeden Tag fragt sie, was ich zum Mittag und nachmittags essen möchte und bestellt es für mich. Dennoch ist von ihrem Essen immer eine Portion für mich reserviert. Sie kümmert sich einfach rührend.
Einmal hatte ich es geschafft, dass sie auch von meinem Essen kostete. Sie fand es lecker und ich fragte sie, ob sie noch mehr möchte. Dann sagte sie schnell, dass es doch nicht lecker ist. ;)
Beim Kaffeetrinken darf ich meine Kekse, Sandwiches oder frittierten Teigtaschen nie bezahlen. Und selbst im Bus musste ich mich einladen lassen.

Sie schaffen es hervorragend, dass ich mich als „Gast“ ständig schuldig fühlen muss. Von Frauen eingeladen zu werden, erschüttert doch irgendwie mein deutsches Wertesystem und mein Verständnis von Stolz und Gleichberechtigung. Die ziehen das sicher knallhart 6 Monate durch.
Sicherlich führe ich hier nicht das luxeriöseste Leben. Doch das Miteinander, Menschliche ist prägend - respektiert und aufgenommen in die Gemeinschaft. Wir könnten uns ein Beispiel nehmen.


Business-Unterschiede
Die Meetings mit Mr. Desai sind immer äußerst lehrreich – inhaltlich sowie sprachlich.
Er bestellt mich via Skype nach unten in sein Büro und ich werde herein gebeten. Etwas gewöhnungsbedürftig ist, dass ich erst einmal länger warten muss, bis er das laufende Telefonat beendet hat und meistens noch andere Personen im Büro sind, mit denen er noch etwas zu klären hat.
Letztens verdeutlichte er mir die Unterschiede zwischen deutschem und indischem Arbeitsverhalten. (Anzweiflungen und Interpretationen seien jedem selbst überlassen.)
Deutsche würden sehr konzentriert während der Arbeitszeit arbeiten, bei Indern hingegen ist immer Platz für Privates. Beispielsweise fragte er mal einen deutschen Arbeitskollegen, der gerade Vater geworden war, nach seinem Kind. Dieser sagte, er komme 17.30 zu ihm und werde dann berichten. So war es auch – Privates nach der Arbeit.
Deutsche können am Wochenende komplett die Arbeit ausschalten. Inder arbeiten länger und sind ständig für die Arbeit einsatzbereit. Er erzählte mir, dass die Familie mitunter 5 x anrufen muss, damit manch Angestellter von Arbeit nach Hause kommt.
Deutsche möchten für alles immer bezahlen oder bezahlt werden. Inder machen vieles „umsonst“.





Kurz ein paar Infos:

Wer diesen Blog „abonnieren“ möchte, d.h. immer eine E-Mail bekommen möchte, wenn ein neuer Beitrag online gestellt wurde – bitte bei mir melden. Ich trage euch dann in eine Liste ein.
Mit E-Mails werde ich (sehr gern) überhäuft, aber in den Kommentaren zu meinem Blog herrscht eher gähnende Leere. Ich freue mich über eure Meinung und aktive Teilnahme. Klickt einfach am Ende des Eintrags auf „Kommentare“ und schreibt frisch von der Leber weg! ;)
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Ich danke euch.

Bye Bye

Bine


Montag, 14. Februar 2011

10/ Malpe Beach – mittendrin im indischen Leben


Immer wieder sonntags … begeben wir uns auf Entdeckungsreise, um ein weiteres Puzzleteilchen Indiens kennen zu lernen. Nachdem wir letztes Wochenende schon auf das Badengehen verzichten mussten, ging es heute direkt zum Strand.

Das Ziel: Malpe Beach
Malpe liegt ca. 10 km von Manipal entfernt. Neben dem Hafen und der Fischindustrie ist die Stadt vor allem durch ihren Strand bekannt.

A: Manipal, B: Udupi, C: Malpe


Auf gut Glück liefen wir zum Tiger Circle. Wir machten den richtigen Bus ausfindig und ab ging es für 6 Rupien zunächst nach Udupi. Die Preise werden hier manchmal etwas willkürlich festgesetzt. Der Mindestbetrag ist allerdings immer 4 Rupien. Aber auf eine Rupie mehr oder weniger kommt es nun wirklich nicht an. Am Busbahnhof angekommen, ging es gleich mit dem nächsten Bus weiter nach Malpe. Leider konnte ich in diesem Bus nicht die Landschaft betrachten. Die Fenster waren einfach zu niedrig, so dass für mich nur der Blick auf das Straßenpflaster übrig blieb. 



In Malpe wurden wir an einer Straßenecke „rausgeworfen“. Wir folgten den Menschenmassen, vorbei an Müllhalden und Abwasser-Bauarbeiten. Vor einem großen Steintorbogen wurden wir angehalten und sollten - für was auch immer – eine Rupie zahlen.




Auf der Suche nach dem ersehnten Strand kamen wir an einem Hafen vorbei. Mehrere hundert Boote und Schiffe parkten dicht an dicht in der Bucht. Vogelschwärme kreisten über die im Winde wehenden Fahnen. Wir liefen direkt am Hafen entlang in der Hoffnung den Strand schon bald zu erreichen. Es war Sonntag und trotzdem waren alle an der Arbeit, die sie nur unterbrachen um einen Blick auf die Fremdlinge zu erhaschen.



Einige Boote waren mit etwas Weißem beladen. Zuerst dachte ich an Salz, aber als mir einer der Männer aufgrund meines neugierigen Blickes etwas zuwarf, fühlte ich in meiner Hand Eis. Bei dieser Hitze schwer vorstellbar, aber wahrscheinlich wird es zum kühlen Lagern der Fische eingesetzt. Auf dem Boden lagen tote Fische und Krebse verteilt – in der ganzen Stadt herrschte dieser Geruch vor. Manche Vögel flogen so tief, dass sie den Frauen, die auf ihren Köpfen Fischkörbe trugen, ein paar wegstehlen konnten.


Schließlich waren wir am Ende des Hafens angelangt, aber ein Strand war weit und breit nicht in Sicht. Wir fragten einen der Arbeiter. Als ich statt einer brauchbaren Antwort mehr oder weniger heimlich fotografiert wurde, war es an der Zeit den Rückzug anzutreten.

Endlich gelangten wir auch auf die richtige Straße. Malpe Beach empfing uns mit seinem feinen weißen Sand und warmen blauen Wasser wirklich fürstlich. Es war sogar erstaunlich menschenleer. Viele Löcher übersäten den Sand … dort wohnen Krebse, die blitzschnell von einem Loch zum anderen wechseln.

Werbeplakat Malpe Beach
Malpe Beach
Im Gegensatz zu Martin traute ich mich nicht in die deutsche Bademontur zu schlüpfen. Zum Glück! Wenig später kamen immer mehr Menschen und wir bemerkten, dass rechts und links von uns ein riesiges Netz eingeholt wurde. Nachdem wir die Ergebnisse bereits auf dem Hafen begutachten konnten, erlebten wir jetzt das Fischen aus dem Arabischen Meer vor Ort. Den Rand des Netzes im Meer nutzten einige Vögel als bequeme Rast. Alle Generationen waren am Herausziehen des Netzes beteiligt. Es war zwar in meinen Augen keine sehr große Beute, doch neben Kleinstfischen fand sich auch der eine oder andere größere wieder. Endlich an Land, hüpften die Fische im Netz auf und ab, prusteten Wasser aus ihren Kiemen und die Tintenfische verloren ihre Tinte, die sich schwarz im Sand verteilte. In einem tragbaren Netz wurden sie dann gebündelt, im Wasser gesäubert und schließlich auf einem Boot gelagert.

                                                               Video: bitte anklicken!


Fisch

Ein guter Zeitpunkt weiter am Strand entlang zu laufen! Bitte jetzt das Essen aus der Hand legen oder am besten beim nächsten Absatz weiterlesen. [Wir liefen ein sehr dreckiges Stück Strand entlang. Erst dachten wir Hunde seien für diese Zustände verantwortlich. Aber als wir erkannten, dass Menschen Verursacher dieses Übels waren, hatte sich Badengehen für mich erstmal erledigt. Strand und Meer wurden wie selbstverständlich als Toilette benutzt.]

Dann kamen wir am touristischen Teil des Malpe Beach an. Dort tummelten sich viele Menschen und zu meiner Verwunderung auch 3 weiße Frauen in Bikinis. ‚Juhu, zum ersten Mal nicht Hauptattraktion‘, atmete ich auf…erwies sich dann aber als falsch. Nachdem wir mit Eis versorgt wurden und ungefähr 5-mal gefragt wurden, ob wir auf St. Marys Island oder Jet Ski fahren möchten, konnten wir endlich Strandfeeling genießen. Abenteuer hatten wir für heute erst mal genug. Schließlich haben wir noch ein halbes Jahr Zeit, um hier alles mitzumachen bzw. touristische Annehmlichkeiten wahrzunehmen. Unser Motto lautete bis jetzt: Mitten drin im indischen Leben.
Frauen badeten in Saris. Männer in Badehosen genehmigten sich Wasser-, Schlamm- und Sandschlachten. Überhaupt ist es sehr lustig anzusehen, wie fein gekleidete Inder in Stoffhosen und Hemden (indische Standardkleidung) am Strand ankommen und hier dann die „Sau“ raus lassen.













Als wir den Strand verließen, kamen wir an einer Gandhi-Statue vorbei. Als man uns da posieren sah, ließ sich das obligatorische Foto mit Indern nicht verhindern.


Für den Rückweg zum Bus genehmigten wir uns eine Rikschafahrt für 19 Rupien. Wieder in Udupi machten wir noch einen kurzen Abstecher in ein Restaurant. Das bestellte Hühnchen brachte aber nicht die erwartete Gaumenfreude - es bestand eher aus Knochen und Knochensplittern als aus Fleisch. Schon bei der Bestellung war es schwer den Kellner zu überzeugen, dass wir von den gewählten Speisen nur je eine wollten. Beim Kaffee war er dann so pfiffig, dass er 2 Kaffees in einem großen Glas vereinte…wir mussten den doppelten Preis bezahlen.
Danach stürmten wir einen Eisladen und machten den Mann mit Bestellungen von insgesamt 100 Rupien an diesem Tag reich.

Zu Hause erwartete unsere sandigen Körper eine wohltuende Dusche. Leider mussten wir feststellen, dass die heiße indische Sonne uns nicht verschont hatte. Aus meinen Fehlern in Murudeshwar hatte ich eigentlich gelernt und die Sonnencreme war in Malpe Beach mein ständiger Begleiter gewesen. Doch ich war nun um zwei feuerrote Körperteile reicher. Beim Eincremen hatte ich alles vom Knie abwärts vernachlässigt. Trotz Wasserbad, Eincremen und Wadenwickel bin ich kaum im Stande zu laufen.
Bei meinem Freund sieht’s nicht anders aus, nur dass bei ihm noch der Rücken hinzu kommt. Als ich Sonntagabend aus der Dusche stieg, nahm ich einen eigenartigen Geruch wahr und stellte fest: „Irgendetwas riecht hier verbrannt!“ Mein Freund antwortete prompt: „Ja ich!“ ;)

Freitag, 11. Februar 2011

9/ Verlust, Freundschaft und Fleisch


Aktuelle Bestandsaufnahme: Der „Kulturschock" ist milde ausgefallen.


 „Der Kulturschock ist nichts weiter, als das Beharren, dass die eigenen Werte die richtigen sind, die anderen die „unnormalen“. Diese Haltung, die natürlicherweise eine Nicht-Anpassung an die Kultur der Besuchten nach sich zieht, führt unweigerlich zum Konflikt.“ (Indien-Ratgeber)
So möchte ich versuchen Land und Leute zu verstehen, tolerant zu sein und mich ausreichend anzupassen.

Alles, was ich in diesem Blog schreibe, beruht natürlich auf einer subjektiven Beobachtung und Auswertung. Von Einzelbeispielen kann man nie auf eine große Masse schließen. „Indien ist ein kunterbuntes Gemisch verschiedener Religionen, Rassen, Landsmannschaften und lokaler Traditionen. Die Inder können so sehr in ihren Denkschemata voneinander variieren, dass auch innerhalb des Landes noch Raum für Kulturschock bleibt.“ (siehe Dtl.). 


Bine und die Schuhe

Nichts ahnend lief ich Dienstagmorgen – genau eine Woche nach meinem ersten Arbeitstag in Indien – Manipals Mondlandschaft entlang. In Deutschland spricht man auch gerne von einem „Fußgängerweg“. Trotz meiner erst kurzen Aufenthaltsdauer hier kann ich stolz behaupten, dass meine Augen in Bezug auf Multitaskingfähigkeit bereits ausreichend qualifiziert wurden. Meine Chamäleonaugen haben gleichzeitig sämtliche Bodenauswüchse, kleines und großes Getier, Menschen, Fahrräder, Mopeds, Rikschas, Autos, Busse und LKWs im Blick – dabei ist hier alles außer Rand und Band. Es herrsche die Fortbewegungsanarchie!
Jedenfalls hastete ich von einem imaginären Hüpfekästchen zum nächsten. Plötzlich bemerkte ich eine Störung in meinem automatisierten Bewegungsablauf. Mein rechter Schuh hatte soeben einen seiner letzten Atemzüge getätigt und blieb entkräftet auf der Strecke. (Bei Blogeintrag 7 hatte ich ihnen noch bis zu einem halben Jahr Lebenszeit vorausgesagt.) Da stand ich nun und fühlte mich, als hätte mir jemand auf den letzten hundert Metern zur Spitze des Mount Everests meine Luftversorgungsausrüstung geklaut. Doch die Arbeit ruft und ich humpelte mit 1,25 Schuhen zum Bus. Die Inder schienen an mir vorbeizurasen, und mitleidige bis spöttische  Blicke versuchte ich auf ihren Gesichtern zu erkennen. Damit hatte ich den Tiefpunkt des Tages bereits pünktlich vor 9.00 Uhr in der Tasche.
Nach der Arbeit kannte ich nur ein Ziel: Schuhe kaufen - um endlich wieder ein vollwertiger Teilnehmer im indischen Verkehrschaos zu werden. Die indischen Frauen bevorzugen ja Flip Flops. Ich bin mittlerweile der Meinung, dass nur Bundeswehr-Stiefel ein einigermaßen passender Fußbelag wären. Aus ästhetischen und temperaturbezogenen Gründen sollten es dann doch wieder Sandalen werden. Auf dem „Markt“ gab es natürlich nur Flip Flops und Badelatschen weit unterhalb meiner Schuhgröße. Dann blieb nur noch der Reebok-Laden übrig. Martin und ich betraten zum ersten Mal ein Geschäft, das sich von einem deutschen nicht unterscheiden ließ – fast! Egal ob Geschäfte oder Restaurants, schon allein der Eingangsbereich ist in Indien chronisch überbesetzt. Meistens gibt es mehr Angestellte als Kunden. Außer vielleicht im Bus, der reicht mit durchschnittlich 3 Mitarbeitern nicht an die Fahrgäste heran.
Im Reebok-Laden wurde mir dann zunächst ein hausschuhähnliches Paar für 3.000 Rupien angeboten. Für nur knapp 50 Euro ein Schnäppchen... . ;) Der Verkäufer sah unsere Mundwinkel nach unten wandern. Als kluger Geschäftsmann fragte er natürlich gleich: „Woher kommt ihr denn?“ Gutgläubig wie ich war, dachte ich er wäre nur neugierig und wollte ein bisschen plaudern. Ich antwortete: „Germany.“ Fataler Fehler. Er: „Und da gibt’s die Schuhe billiger?“ Mist, hätte ich nur Äthiopien gesagt, oder um realistisch zu bleiben zumindest Südafrika. Aber mein Konter ließ nicht lange auf sich warten und ich protestierte: „In Deutschland sind die Straßen auch viel besser und deshalb braucht man dort nicht ständig neue Schuhe zu kaufen.“ Von begehbaren Schuhmuseen mancher Frauen brauchte ich ja nichts zu erwähnen.
Dann durfte ich zum Glück noch ein billigeres Paar richtiger Sandalen mit robust-dicker Sohle anprobieren. Preislich blieb er erst einmal recht uneindeutig. Aber nachdem er mir wie einer Oma in die Schuhe geholfen hatte und sah, dass sie mir gefielen, wollte er nun 1.600 haben. Martin handelte noch auf 1.500 runter und der Verkäufer gewährte ohne Protest. Das hätte mir zu denken geben müssen. Ich muss zugeben, dass wir zu diesem Zeitpunkt einem Rechenfehler unterlagen. Wir gingen von 15 Euro anstatt von 24 Euro aus...naja. Das Wichtigste ist doch, ich habe endlich wieder funktionstüchtiges (Marken-)Schuhwerk. Die Survivor-Wanderungen können also weiter gehen.


Bine und ihre neuen indischen Freundinnen

Langsam fühle ich mich hier schon richtig wohl und heimisch. Und solche Gefühle hat man (fast) immer Menschen zu verdanken. Mit der Verständigung klappt es auch langsam etwas besser und ich darf mindestens einmal am Tag der Grund für lautstarkes Gelächter sein. :) Humor kennt nun wirklich keine Sprache.

1
Donnerstagnachmittag 17.15.: Es ist Pause und vor mir steht ein Metallbecher mit glühend heißem indischem Tee. Mein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es langsam Zeit wäre zu gehen. Also packe ich meine Wasserflasche aus und will mit ein paar Spritzern den Tee trinkbarer machen. Plötzlich schreien die Mädels los: „Nooooo!!!!“ Etwas verunsichert schaue ich in die Menge und versuche mich zu rechtfertigen: „Warum nicht? Tee wird doch aus Wasser gemacht.“ Antwort: „Der ganze Geschmack verschwindet!“ Um die Gemüter nicht noch mehr zu erregen, erwidere ich: „Ok ok, ich pack sie ja schon weg.“

2
Mittwochnachmittag stehe ich mit einigen meiner Freundinnen an der „Bushaltestelle“. Der Bus kommt und ich reihe mich in die Menschentraube ein. Die Mädels rufen: „Nicht einsteigen, der Bus ist zu überfüllt. Wir nehmen den nächsten.“ Ich zucke mit den Achseln „Why not?“. Sie schauen mich ungläubig an.
Also wirklich, das sollte das kleinste Hindernis sein – schließlich bin ich Chemnitzer Busse gewöhnt.


Frauenthemen dürfen natürlich nicht fehlen. So bekomme ich immer mal wieder Komplimente für ein (stinknormales) T-Shirt und meine (stinklangweilige) Frisur bzw. Haarpracht. Indische Frauen tragen ihre Frisuren meist zugekleistert mit Öl, damit alles perfekt sitzt und kein Windstoß etwas daran ändern kann.


Bine und das Essen

Positivstes Geschmackserlebnis

Nach vielen Tagen vegetarisch (über)leben, war es an der Zeit für etwas Ordentliches. Das „Ordentliche“ nennt sich Sizzler und ist das teuerste Gericht, das Restaurants hier zu bieten haben. Der Chicken Steak Sizzler für 130 Rupien war unsere alternativlose Wahl. Der Augen- und Gaumenschmaus wird dampfend auf einer mit Salatblättern belegten Pfanne serviert. Dazu gibt es entweder Reis oder Spaghetti, Pommes, Gemüse und das Chicken-Steak. Fantastisch!



Negativstes „Restaurant“-Erlebnis

Wir wollten mal etwas Neues probieren. Direkt neben unserem Lieblingseisladen befindet sich eine kleine Hütte, wo sich immer viele junge Leute die Bäuche voll schlagen. Auf einem Teller hatte ich sogar mal aus der Ferne Spaghetti schimmern sehen. Jedenfalls setzten wir uns an einen der drei Tische. Nach einer Weile kam ein alter Mann und erzählte uns ca. 10 Sekunden lang irgendetwas. Beim vorletzten Wort bekam ich dann mit, dass er uns soeben alle Gerichte vorgetragen hatte, die wir bestellen können. Dann legte er uns einen Stift und einen Schreibblock hin und verschwand. Martin und ich saßen etwas verdattert da. Vergeblich suchten wir nach einer Speisekarte oder zumindest einem Aushang – schon ein handbeschriebenes Blatt Papier hätte mir gereicht. Der Hunger trieb mich Richtung Küche – eine kleine dunkle Ecke, weitere Details erspare ich euch. Von einer alten Frau ließ ich mir noch mal die Gerichte aufzählen – ich glaube es waren ungefähr 6. Alle beinhalteten entweder „Egg“ oder „Toast“. Wir bestellten, wir aßen, wir kommen nie wieder.

Montag, 7. Februar 2011

8/ Abenteuer pur


Namaste! („Verehrung dir“)

Ich hoffe ihr hattet alle ein angenehmes und ausfüllendes Wochenende!? Dann steht einem erfolgreichen Wochenstart voller Tatendrang nichts mehr im Wege.

Aktuelle Bestandsaufnahme: Ich bin bis jetzt kerngesund geblieben. Nur Martin hat durch die dünnen durchgelegenen Matratzen starke Rückenschmerzen und hustet dauernd (wahrscheinlich angesteckt bei seinen Kommilitonen).
                          

Endlich Wochenende (Sonntag)

Nach einem luxuriösen langen Ausschlafen bis ca. um 9 Uhr ging Martin ins Fitnessstudio und ich verbrachte die Zeit mit „Hausarbeit“. Trotz mittelalterlicher Gegebenheiten schlug ich mich wacker – schließlich habe ich ja mal auf dem Dorf gewohnt. Besen statt Staubsauger! Handwäsche statt Waschmaschine! Wenn mir jetzt noch jemand einen Tipp gibt, wie man Hemden und Blusen ohne Bügeleisen knitterfrei bekommt, werde ich denjenigen in meinem Blog als Held des Tages ehren.
Um 1 Uhr trafen wir uns mit einigen Kommilitonen von Martin zum Mittagessen in der Mensa. Den weiten Weg nahmen wir gern auf uns, da es dort sonntags immer Puris gibt. Von der Form her erinnern sie an einen Gugelhupf – es sind aber fritierte Teigtaschen. Reis, verschiedene Soßen und Süppchen gehören ja zum Standard-Repertoire der indischen Küche. Es gab sogar Gurken und wir bestellten zusätzlich noch stark gewürztes, extrem fettiges Rührei (für Martin aus Trainingsgründen) und Wassermelonensaft. Ein wirklich festliches Mahl! Immer wieder ein Erlebnis ist es den Indern beim gekonnten Essen mit den Händen zuzusehen (Das filme ich noch mal für euch.).

Puris

Dann begaben wir uns in der größten Mittagshitze auf eine 2,5-stündige Extremwanderung durch Manipal – ohne Wasservorräte. Ursprünglich waren wir nur auf der Suche nach einer Gelegenheit zum Schwimmen. Die MIT-Swimming Pool Öffnungszeiten (Manipal Institute of Technology) waren strikt in Männer- und Frauennutzung eingeteilt (Wohnheime ebenso). Außerdem stellte man mir wieder einige bürokratische Hürden in Aussicht. 


Ohne Worte!
Der Student und sein Institut

Um nicht ganz allein schwimmen gehen zu müssen, hatte ich schon einige weibliche potenzielle Kandidaten gefragt - aber keine wollte mit. Zuerst war es für mich unverständlich, warum man bei dieser brennenden Hitze freiwillig auf eine Abkühlung verzichtete. Bei genauerem Nachfragen fand ich heraus, dass manche gar nicht schwimmen können. Der Hauptgrund ist allerdings die Sonne. Indische Frauen vermeiden tunlichst jeden Sonnenstrahl und laufen am liebsten mit Sonnenschirm durch die Gegend. Das liegt daran, dass hellere Frauen auf dem Heiratsmarkt wesentlich „wertvoller“ sind. Diese indische Eitelkeit besagt: Umso dunkler, desto schlimmer.

Unterm Sonnenschirm

Auf zum nächsten Schwimmbad! Diesmal betraten wir ein luxuriöses Hotel, bei dem man sich eine Stunde täglich am Pool erkaufen kann. Dieser Pool ist kleiner als in dem anderen Schwimmbad, aber  es gibt wenigstens keine Geschlechtertrennung. Ein bisschen Angst habe ich allerdings vor indischen Paparrazzis. ;)
Die Suche nach der dritten Abkühlungsmöglichkeit sollte vergeblich sein. Eine auf der Straße trabende Kuhherde entschädigte mich vorerst für die Strapazen.

Das sind wohl die glücklichsten und wirklich freien Wesen auf dem indischen Subkontinent.


Dann gelangten wir in ein NeuBAUgebiet. Das wäre auch kein schlechter Wohnort gewesen.

Typisch Indien
Das nenn ich mal erhöhten Werbedruck mittels Außenwerbung. So rot sehen in Indien viele Straßen aus.

Nachdem wir noch einmal unserer Modeltätigkeit nachkommen mussten und das Nötigste eingekauft hatten, kamen wir völlig erschöpft zu Hause an. Sonnenverbrannt, halb verdurstet und hitzegeschockt. So ließen wir den Sonntag ruhig ausklingen.
Ich skypte noch kurz mit meinem Chef. Er sagte, ich solle Monntagmorgen später kommen, damit ich dann abends mit dem „Big Boss“ aus den USA telefonieren könne.


Montag – die zweite Arbeitswoche beginnt

Heute lernte ich die Verpackungsabteilung der Manipal Press kennen. Zuerst wurde ich in das Hauptgebäude geführt, das sich an MDS anschließt. An Wachpersonal und Sicherheitsvorkehrungen fehlt es in Indien nirgends. Ich musste mich in eine Liste eintragen mit Wohnort usw. Dann erhielt ich ein tolles Umhängeschild mit der Aufschrift „Visitor“. Ich wurde in eine überdimensionale Fabrikhalle geführt. In meiner grauen Nadelstreifenhose und weißen Bluse fühlte ich mich wie beim Staatsempfang – jedenfalls klebten alle Augen an mir. Wer weiß, vielleicht dachten sie auch nur, ich wolle die Arbeitsbedingungen untersuchen. Alles wurde mir genau erklärt. Zuerst ging es in das PrePress Department (Druckvorstufe). Ich bekam etliche 3D-Simulationen hochwertiger Produktverpackungen zu Gesicht. Ein Mann zu meiner rechten, einer zu meiner linken verließ ich das Gebäude – natürlich wurde noch einmal meine Tasche durchsucht. Dann gingen wir zum Gebäude des Verpackungsdrucks. Dort hielt ich edelste Verpackungen in meinem Händen: gold, silber, glänzend, matt, metallische Optik, Reliefe, Prägungen, Stanzungen - um nur einiges zu nennen. Besonders freute ich mich, als ich eine Verpackung mit deutscher Aufschrift in der Hand hielt - eine Arzneimittelverpackung mit Blindenschrift. Im Anschluss wurden mir sämtliche Maschinen und Arbeitsschritte gezeigt. Ein kleiner Altar und Blumenschmuck an einer der Maschinen erregten meine Aufmerksamkeit. Danach wurde ich wieder zurück zu MDS begleitet und die Männer bedankten sich tatsächlich für meine Zeit.

Der Big Boss aus den USA

Lange hatte ich mich gedulden müssen, doch dann war er endlich gesprächsbereit. Denn in den USA ist es morgens, wenn es bei uns schon abends ist. Ihr glaubt gar nicht, wie wohltuend es war, endlich mal ein englisches Gespräch zu führen ohne größere Verständigungsschwierigkeiten. Wir verstanden uns sofort blendend. Ich sollte ihn einfach "Mat" nennen. Er begrüßte mich in seiner Firma und erzählte mir, dass er in Deutschland „Printing“ studiert habe. Nachdem ich von meinen bisherigen beruflichen Erfahrungen berichtet hatte, bemerkte er zufriedenstellend, dass ich die idealen Vorrausetzungen mitbrächte. Wir fachsimpelten ein wenig und er fragte mich, was ich am liebsten machen würde in meinem Traumjob. Dem entsprechend legten wir dann auch meine Arbeitsinhalte fest. Ich freue mich riesig – ich liebe diese Firma und diesen Job jetzt schon!

Dann hätte ich eigentlich schnurstracks nach Hause gehen können, aber ich wollte die Gelegenheit nutzen endlich das Marketing-Department kennen zu lernen. Die Verantwortlichen für Europa und Amerika vermittelten mir einen guten Überblick über ihre Tätigkeit und Strategie. Dann erzählte mir der Kräftigere, dass er sehr gerne Fleisch esse im Gegensatz zu seinem schmalen, vegetarischen Kollegen. Aus Versehen rutschte mir heraus: „Das sieht man.“ Typisch ich! Zum Glück waren sie sehr locker drauf. Dann war es auch schon halb 8 und endlich Zeit nach Hause zu gehen. Kurzerhand entschied der Vegetarier mich auf seinem Motorrad nach Hause zu fahren (ohne Helm!). Ich hoffe mal nicht, dass sich jetzt die halbe Stadt das Maul zerreißt. ;) Mein Wunsch, auf einem Motorrad durch die Stadt zu fahren, erfüllte sich und … *Krach Bum Bäng* … Ich schrie lauthals auf. Wir waren in der Dunkelheit gegen eine heilige Kuh geknallt. Der Schock saß tief. Sie war einfach nicht zu erkennen gewesen und wer denkt schon als normaler Mitteleuropäer, dass sich noch andere große, nicht leuchtende Wesen auf den Straßen bewegen könnten. Der Inder sagte, so etwas sei ihm noch nie passiert. Ich erwiderte: „Da musst du heute wohl etwas länger beten.“
Damit geht dieser Tag definitiv in die Geschichte der unglaublichsten Momente Bines indischer Abenteuer ein.

Jetzt ist es doch wieder ein sehr langer Text geworden. Da lass ich euch bis zum nächsten Eintrag mal lieber etwas mehr Zeit. Ich muss mich erstmal von diesem Tag erholen.

Gute Nacht!