Donnerstag, 31. März 2011

24/ Verlobt


Samstagnacht 23.15 Uhr bekamen wir eine SMS von unserem Vermieter. Er lud uns zur Verlobungsfeier seiner Tochter am nächsten Tag ein. Verlobungen (Engagement) finden traditionell bei der Familie der zukünftigen Braut statt.
Wir hatten noch keinen festen Plan für Sonntag und sagten zu – spontan wie wir sind. Die Inder bezeichnen solchen Anlässe auch gerne als „Function“. Frauen putzen sich besonders heraus mit ihren edelsten Saris, Schmuck, Blumen etc.
Den Sonntag begannen wir mit einem ausgiebigen Frühstück im FoodCourt. Das würden wir später noch bereuen. Das Internet funktionierte mal wieder nicht, also blieb uns nur übrig die Wohnung sauber zu machen. Um 1 sollten wir dort sein. Etwas verspätet – wir werden immer indischer – machten wir uns auf den Weg nach Udupi. Dort kauften wir noch einen Lappen – in ganz Manipal sind solche Dinger einfach nicht aufzutreiben.
Udupi hat zwei groβe Busbahnhöfe mit je ca. 25 Bussen – wir fragten uns an beiden durch. Schließlich erreichten wir den richtigen Express Bus. Er war schon fast voll, nur die hinterste Reihe war leer. Wenig später war mir klar warum. In Deutschland sind die hintersten Plätze ziemlich begehrt. In Indien sind sie für Menschen mit schwachen Mägen nicht zu empfehlen. Die Fahrt erinnerte mich an eine Mischung aus Achterbahn und Formel 1. Der indische Bus scheint ja im Gegensatz zu seinen deutschen Brüdern immer der schnellste sein zu wollen. Er rast ohne Rücksicht auf Verluste die Straßen entlang und lässt alle anderen hinter sich. Der Stärkere gewinnt - selbst Autos ziehen da den Kürzeren und müssen bitteschön Platz machen. Die Straßen sind natürlich mit Löchern gepflastert, so dass auf den hinteren Plätzen Springreiten simuliert wird. Ab und zu verliert man Boden unter den Füßen und fliegt in sauerstoffärmere Höhen. Vielleicht schafft man es gerade noch sich irgendwo festzuhalten. Einige Sekunden später landet man wieder unsanft auf seinem Sitz. Das ist Abenteuer pur und eine der preisgünstigsten Rummelattraktionen mit unübertreffbarer Aussicht.
Ein indisches Talent scheint auch zu sein, dass sie millimetergenau Abstände zu anderen Verkehrsteilnehmern einschätzen können. Oder sie sind nur extrem waghalsig und haben keine Angst vor Schrammen. Immer mal schiebt sich ein Lufthauch entfernt ein anderer Bus an uns vorbei.
Mein persönlich größtes Übel dieser Busfahrt waren die zwei Fernseher im vorderen Teil. Es lief irgendein grässlicher alter Bollywoodstreifen – die Sprache verstand ich nicht. Dämlicher Humor wechselte sich mit schlechten Actionszenen ab. Der Ton war so laut, dass man fast gewillt war die Ohren zuzuhalten. Die Laustärke erzwang förmlich die Aufmerksamkeit aller Fahrgäste. Alle Generationen blickten gefesselt auf diesen blöden Bildschirm. Ich war wohl die Einzige, die sich an der interessanten Landschaft samt Bewohnern erfreute.


Nach ungefähr 20 Minuten gab man uns ein Zeichen und wir stiegen am Mabukala Stop aus. Der Sohn unseres Vermieters wartete schon im Auto auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Er ist Matrose und berichtete stolz, dass er auch schon in Kiel und Frankfurt gewesen wäre. Am Haus der Familie angekommen, hieß es wieder Schuhe ausziehen. Wir betraten das mit Zeltplanen überdachte und mit Teppich ausgelegte Gelände. Mehrere hundert Augenpaare waren auf uns gerichtet – mir fielen gleich die unzähligen Kinder auf.
Wir schienen etwas zu spät zu sein, denn die Zeremonie war vorbei. Das Paar stand aber (wie zur Hochzeit) noch auf dem Podest. Sogleich wurden wir für ein Foto hinauf gebeten. 


Dann ging es an der Menschenmenge vorbei ins Haus. Wir wurden etlichen Verwandten vorgestellt, nickten allen lächelnd zu oder begrüßten sie mit „Namaste“. Dann sollten wir am Esstisch Platz nehmen. Alle anderen speisten draußen. Uns wurde eine leckere Speise nach der anderen serviert. Wir bekamen sogar einen Löffel dazu und teure Pepsi. Einer der Verwandten leistete uns immer Gesellschaft – also er beobachtete uns beim Essen oder stellte Fragen. Wir berichteten woher wir kamen, was wir hier machen etc. Sie wollten unsere Teller wieder füllen, dabei platzten wir schon (auch dank dem Frühstück). Das nächste Mal, wenn wir zu einer „Function“ eingeladen sind, werden wir vorher nichts essen. 


Danach zeigte man uns das Haus. In jedem kleinen Raum saßen Menschen. Überall liefen Kinder herum. Alle waren im schicken indischen Stil gekleidet. Durch die Saris hat man bei vielen Frauen direkt Einblick auf die dicken Bäuche (besonders bei den älteren Frauen). Das ist gewöhnungsbedürftig für das europäische Auge. Da wo Westler mal keine Haut zeigen, macht es den Indern wiederum nichts aus. Naja, anderes Land, andere Kultur.
Nachdem unser Vermieter festgestellt hatte, dass wir dick geworden sind – ich dachte zuerst ich hätte mich verhört – schickte er uns raus zu einem Spaziergang am Wasser.

riesige Muschelhaufen

Sonntagnachmittags-Schläfchen
Wenigstens Eine hellwach
Indische Fischernetz-Hängematte
tot

Als wir wieder zurück kamen, hatte sich die Feiergesellschaft schon etwas aufgelöst. Die Familie des zukünftigen Bräutigams sei schon gegangen, sagte man uns. Wir unterhielten uns mit einem Verwandten, der in Russland (bei Kasachstan) arbeitet und sehr gutes Englisch sprach. Er erzählte auch, dass die Russen große Probleme mit dem Englischen haben bzw. es einfach nicht versuchen würden.
Nach diesem schönen Plausch wollte Martin langsam gehen, wusste aber nicht genau wie er das andeuten sollte. Ich fragte noch nach einer typisch indischen Süßigkeit zum Naschen – da brachte mir die Frau einen großen Beutel vollgepackt mit zuckrig-buttrigen Leckereien zum Mitnachhausenehmen. Ihre Gastfreundschaft und Herzlichkeit kennt wirklich keine Grenzen. Wir bedankten uns mehrmals und sie antworteten „It’s a pleasure for us.“.
Schlechtes Gewissen brauchen wir diesmal aber nicht haben, schließlich haben wir das Fest indirekt mitfinanziert. Geld ist ja in Indien nicht so ein Tabuthema wie in Deutschland. Deswegen wurde ich schon öfters gefragt wie viel Miete ich bezahle. Als ich den Betrag nannte, fielen selbst meine Chefs fast in Ohnmacht. Es sei viel zu viel, auch wenn wir eine Klimaanlage in der Wohnung hätten. Naja, wer hätte das von Deutschland aus wissen können. Wenigstens haben wir ein Dach übern Kopf und die Tochter unseres Vermieters eine besonders schöne Hochzeit. Die wird dann in zwei Monaten stattfinden – ich freue mich schon drauf.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen