Freitag, 25. März 2011

21/ Sprachenwirrwarr


Bezüglich der Sprache kommt Indien Babel so nahe wie kein anderes Land der Welt. Es gibt keine "indische" Sprache an sich, was teilweise erklärt, weshalb Englisch auch ein halbes Jahrhundert, nachdem die Briten Indien verließen, immer noch vielerorts gesprochen wird.
Es gibt hier 179 Sprachen und 544 Dialekte. Hindi und Englisch sind die offiziellen Sprachen. Wenn sich Menschen unterschiedlicher Sprachgemeinschaften begegnen, sprechen sie im Norden entweder Hindi oder Englisch miteinander, im Süden eine der dravidischen Sprachen oder Englisch.
Es sind größere Anstrengungen unternommen worden, Hindi als Nationalsprache zu fördern und Englisch allmählich zu verdrängen. Ein Hindernis besteht darin, dass Hindi zwar die vorherrschende Sprache im Norden ist, es aber wenig Ähnlichkeit mit den dravidischen Sprachen im Süden hat. Im Süden sprechen nur sehr wenige Menschen Hindi. Die indische Oberschicht hält am Englischen als gemeinsame Sprache der gebildeten Elite fest. Sie verteidigt Englisch einerseits als Statussymbol, andererseits als Schlüssel zur internationalen Geschäftswelt.

Dass nur eine privilegierte Minderheit der Bevölkerung perfekt Englisch spricht, wird mir zunehmend bewusster. Es muss ja einen Grund haben, warum es mir mit manchen Arbeitskollegen leichter fällt zu kommunizieren als mit anderen. Wenn ich mich mit Priyanka unterhalte, ist das schon fast ein linguistischer Urlaub. Sie spricht nicht nur gut Englisch. Sie stellt sich auf mich ein, wiederholt das Gesagte gerne noch mal oder erklärt mir unbekannte Wörter. Neulich hat sie sogar als erste und einzige hier in Indien angefangen mich auf einen Fehler aufmerksam zu machen. Nichtsdestotrotz behauptet sie, dass ich zweifellos besser Englisch sprechen würde als die meisten hier. Wenn ich nicht wüsste, dass Priyanka immer offen und ehrlich zu mir ist, würde ich das bezweifeln. Oder überschätze ich die Inder? Vielleicht liegt es nicht am starken Akzent, dass ich sie oftmals schwer verstehe, sondern am mittelprächtigen Englisch? Da sie Englisch dennoch regelmäβiger anwenden, als der Durchschnittsdeutsche ist zumindest ihr Vokabular ausgereifter.

Die Problematik Sprache wird weiterhin mein täglicher Begleiter sein. Es fängt schon bei meinem Namen an. „Sabine“ kann hier niemand so richtig aussprechen. Deswegen rufen mich hier alle „Sabina“ oder „Sabin“.
In den Pausen sprechen die Mädels an meinem Tisch vornehmlich „Tulu“. Mittlerweile habe ich den Gedanken aufgegeben es vom einfachen Zuhören zu lernen. Sie waren aber so freundlich und haben mir ein paar Vokabeln beigebracht. Wenn sie mich beim Essen fragen „Boda?“ (Möchtest du?), antworte ich entweder „Bodchi“ (Ich möchte nicht.) oder „Bodu“ (Ich möchte.). Sri wollte, dass ich die anderen am nächsten Morgen mit Tulu überrasche. Sie brachte mir bei: „Encha Ollar? (Wie geht’s?) und „Bakha yenchina vishesha“. Ich flüsterte das solange vor mich her, bis ich mir zutraute es mir bis zur nächsten Pause merken zu können. Als dann alle am Tisch saβen, legte ich los. Sie machten groβe Augen und verfielen anschlieβend in groβes Gelächter. Da ich jeden Tag Bus fahre, konnte ich auch mit sämtlichen Vokabeln glänzen, die der Geldeinsammler immer laut ausruft.
Einmal zeigte eine Kollegin auf mein Essen und sagte: „Sol“. Ich bat sie es zu wiederholen, weil ich dachte, ich hätte irgendetwas dem Wort Sinngebendes überhört. Wieder „Sol“. Dann wiederholte eine andere für sie noch einmal. Irgendwann wurde mir klar, dass sie „Salt“ meinten. Ich kombinierte: Sie wollen mir sagen, dass die Suppe salzig ist. Aha!
Wenn ich aber mit meinem tollen Schulenglisch laut und deutlich, mit nahezu perfekter Aussprache etwas zum Besten gebe, muss ich regelmäβig beobachten: Viele verstehen es beim ersten Mal nicht sofort und die, die es verstanden haben, müssen es für die anderen in ihrer Sprache übersetzen. Das ist harter Tobak für mein englisches Selbstbewusstsein.

Besonders lustig ist es, wenn eine meiner indischen Arbeitskolleginnen an meinen Schreibtisch kommt und mir fragend über die Schulter schaut: „Busy?“ Ja was soll man denn da antworten?  Manchmal scheinen Fragen wichtiger als die Antworten (wie die Frage, ob ich gegessen habe). Oder wenn ich mich mit ihnen unterhalte und in jedem Gespräch sagen sie dann irgendwann: „Then!?“ Ich frage mich dann immer: Kommt es jetzt noch was? Man kann doch nicht einfach so „Then“ in den Raum werfen. Nein, es folgt meist eine lange Pause des Nichtssagens. Es liegt dann an mir das Gespräch wieder aufzunehmen. Ich habe mir jetzt sagen lassen, dass es bedeuten soll: Und was gibt es sonst noch Neues? Diese Inder! Also auf mich wirkt das „Then“ eher gesprächsbeendend und es brachte mich bisher meist völlig aus dem Konzept.
Für Missverständnisse sorgte auch schon der Satz „Shall I move?“, den Sri zu gerne benutzt. Der Deutsche würde das als „Soll ich gehen?“ deuten und antworten „Nein.“. Der Inder möchte damit aber ausdrücken, dass er gerne gehen möchte. Das kann einen in echte Schwierigkeiten bringen. Einmal habe ich auf diese Frage ausweichend geantwortet: Mach, was du gerne möchtest.“. Ich habe daraus gelernt und sage jetzt immer „ja“, wenn Sri mich mal wieder fragt „Shall I have one“?. Dann hätte sie gerne ein Stück von meinem Essen.

Letztens waren Martin und ich mal wieder bei unserem Lieblingseismann. Diesmal standen zwei Frauen hinter dem Tresen. Nach einem köstlichen Eis wollten wir noch ein Stück Butter mitnehmen. Doch bei dem Wort „Butter“ (natürlich Englisch ausgesprochen) schauten sie uns an, als hätten wir gerade einen Ölwechsel von ihnen verlangt. Wir wiederholten im besten Englisch: „Butter!“ Es blieb dunkel in den Köpfen. Wir zeigten in die Richtung des Schildes im Laden, wo klar und deutlich „Butter“ mit Grammangaben und Preis verzeichnet waren. Jetzt waren die Damen endgültig verstört. Als Martin nach dem 5. Mal „Butter“ immer verärgerter wurde, kam uns plötzlich ein Mann zur Hilfe. Er fragte uns, was wir denn haben möchten. „Butter.“ Der Mann wusste sofort bescheid und sagte zu den Damen ebenfalls: „Butter“. Auf einmal reagierten sie und wir bekamen unser langersehntes Stück Butter.

Dieses lustige Sprachengezwitscher muss man einfach live erleben. Englisch ist eben nicht ihre Muttersprache und meine auch nicht. Englisch und ich - wir nähern uns zusehens an. Komischerweise hilft mir dabei besonders mein Deutsch-Unterricht.



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