Donnerstag, 3. März 2011

15/ Bine und ihr erster Sari

Neulich riefen mich mein Chef Mr. Desai und Prajna, eine moderne aufgeschlossene Frau aus dem Marketingdepartment, zu sich. Sie fragten, ob ich schon mal einen Sari getragen hätte: Natürlich nicht. Daraufhin führte mich Mr. Desai in sein Büro – er wolle mir etwas zeigen. Er spielte einen Videoclip ab, in dem zu sehen ist wie MDS (Manipal Digital Systems) seine Kunden hier begrüβt: Der rote Teppich wird ausgerollt und die Gäste werden von indischen Damen in traditioneller Kleidung empfangen. Sie erhalten verschiedene Gaben wie einen Blumenkranz, Süβigkeiten und einen Punkt auf die Stirn. Mr. Desai fragte: Hast du Lust mitzumachen? Na klar! Ich möchte soviel wie möglich mitnehmen. Jede Woche eine neue Überraschung, aber ich freue mich riesig. Wer hätte gedacht, dass ich so schnell in die indischen Traditionen eingeführt werde.

Als erstes benötigte ich natürlich einen Sari. Die Mädels hatten ihre Aufgabe gefunden und berieten welche Farbe mir am besten stehen würde. Am nächsten Morgen brachte eine Kollegin in meiner Gröβe einen ihrer Saris mit. In einer kleinen Plastiktüte befand sich ein Unterrock, ein extrem kurzes Blüschen und eine lange türkise Stoffbahn, die am Rand mit Pailetten, Perlen und anderem Glimmer-Glitzer bestickt war. Daraus sollte also mit geschickten Händen ein edler Sari gezaubert werden. Beim Anprobieren der Bluse gab es erste Komplikationen. Ich passte zwar hinein, sie ging jedoch vorne nicht zu. Auch der Schneider versicherte uns, dass da nichts zu machen sei. Eine neue Bluse musste her. Wir hatten nur noch einen Tag Zeit und das gleiche Türkis war hier in der Kleinstadt nicht so schnell aufzufinden. Wir entschieden uns dafür, dass der Schneider eine neue Bluse nähen sollte in einem möglichst ähnlichen Türkis. Für edle Bestickungen fehlten ihm die Materialien. Da ich sie nur ein Mal tragen würde, reichte eine preisgünstige Abspeckvariante vollkommen aus. Nachdem ich ausgemessen war, Länge und Rückenausschnitt bestimmt hatte, machte der Schneider sich für 150 Rupien ans Werk.
Prajna und ich schwangen uns wieder auf ihr Motorbike; sausten weiter über holprige Straβen und schlängelten uns zwischen anderen Verkehrsteilnehmern entlang. Der nächste Halt war ein Shop, wo wir Ohrringe für mich kauften.

Parkplatz vor der Firma. Was den Deutschen das Auto ist, ist den Indern ihr Motorrad.

Prajna geht für ihr Leben gern shoppen – sie kann es sich auch leisten. Sie zeigte mir einen ihrer Geheimtipps in Manipal, obwohl man im nächst gröβeren Udupi noch viel besser einkaufen könne. Sie empfahl mir auβerdem Thailand und Dubai als Shoppingoasen.
In dem kleinen Geschäft empfingen mich Berge von undefinierbaren Klamottenstapeln und eine füllige Inderin mit seltenem Kurzhaarschnitt – ständig am telefonieren. Ich probierte ein paar Tops an, wurde aber nicht fündig. Prajna vefiel in den Jeanswahn und ich durfte sie dabei beraten. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte sie endlich eine gefunden, die (nach eigener Aussage) ihre Beine weder zu dünn scheinen lieβen noch zu schlapprig war.

Prajna

Auf dem Rückweg hielten wir noch an ihrem Haus an. Ihre Mutter öffnete uns. Sie sah aus als wäre sie gerade aufgestanden, da sie eine Art langes Nachthemd trug und ihre Haare offen und zerzaust aussahen. Ich begrüβte sie indisch. Sie verstand kein Wort Englisch. Während die Mutter sich in die Küche verzog, schaute ich mir das Haus an. Von der Haustür aus betritt man direkt den groβen Hauptlebensraum der Familie. Die Decke war unglaublich weit oben, aber hier braucht sich ja niemand um Heizkosten sorgen. An der Wand hingen drei groβe Gemälde der Groβeltern väterlichseits und des Vaters der Mutter. In einem verdreckten Aquarium schwammen zwei groβe Fische. Das Haus war sehr sauber und unterschied sich nicht besonders von deutschen Häusern. Ein überdimensionaler dunkelroter Kühlschrank fiel mir noch ins Auge. In diesem Haus lebt Prajna mit ihren Eltern und ihrem Bruder. Alle, mit denen ich mich bis jetzt unterhalten habe, haben meist nur ein Geschwisterchen. Die Familie besitzt noch ein zweites viel gröβeres Haus in Udupi. Erst vor zwei Monaten sind sie in das Haus in Manipal gezogen, weil es Prajna hier besser gefällt und ihr Weg zur Arbeit kürzer ist. Sonst vermieten sie dieses Haus an Studenten – streng getrennt entweder an Männer oder Frauen. Oft bringen die Männer dann ihre „Schwestern“ mit. Als ich nach der Miete fragte, sagte sie 8.000 Rupien für ein groβes, klimatisiertes, vollmöbelisiertes Haus. Ich war sehr erstaunt, schlieβlich bezahlen wir 7.000 Rupien Miete. Sie fügte hinzu, dass das letztes Jahr war – vielleicht seien es auch 10.000. Die Mutter brachte mir Kuchen, leckere gelbe Muffins, Papayascheiben mit körnigen Zucker überstreut und Limonensaft.
Wieder in der Firma machten Prajna als Verantwortliche, 4 andere auserwählte Frauen und ich einen Plan für das Begrüβungskomitee. Ich sollte den Part übernehmen die Blumenkränze den Kunden umzuhängen. Erstens ist es für die oftmals kleinen indischen Frauen nicht so einfach an die Köpfe zu gelangen und zweitens ist das eher eine unbeliebte Aufgabe. Mr. Desai erklärte mir: Die Frauen sind zwar heute modern, aber eigentlich hängt die indische Frau einem Mann nur einmal im Leben einen Blumenkranz um den Kopf – zur Hochzeit. Deswegen haben sie ein komisches Gefühl dabei – auch wenn es nur weiβe Kunden sind. Das Begrüβungskomitee wurde später gecancelt, da der Kunde nicht zu viel Wirbel um seinen Besuch wünschte.
Das Sari-Projekt stand mir aber unausweichlich bevor. Mr. Desai hatte extra die ganze Firma zusammen getrommelt und uns gebeten alle mit Anwesenheit zu glänzen, obwohl es eigentlich ein Feiertag wäre und wir alle frei hätten. [Shivaratri, die Nacht des Shiva, ist im Hinduismus ein wichtiger Feiertag. Für die Verehrer des Gottes Shiva ist es das höchste Fest, die heiligste aller Nächte.]
Der freie Tag wurde dann einvernehmlich auf Samstag verschoben. Endlich wieder ein deutsches Wochenende! Die Frauen wurden gebeten, wenn möglich alle Sari am besagten Tag zu tragen.
Sweta, die hier für mich verantwortlich ist, fragte mich beim Mittagessen was denn meine Lieblingsfarbe sei – welche Farben ich gerne trage. Von der Frage etwas überrascht antwortete ich: Silber, Blau und Rot, Schwarz. Dann rückte sie mit der Sprache heraus: „Ich möchte dir nämlich einen Sari schenken. Es dauert aber lange bis du ihn selbst anziehen und gut laufen kannst. Selbst ich habe ewig dafür gebraucht.“

Am Tage des Kundenbesuchs war alles etwas anders als sonst. Ich war extra früher auf Arbeit gekommen, um mich dann dort in Schale schmeiβen zu können. Alle waren ganz gespannt darauf mich im Sari zu sehen und fragten, ob es das erste Mal sei, dass ich einen Sari trage.
Zusammen mit drei Mädels verschwand ich im Trainingsroom. Der Unterrock passte schon mal – die Bluse auch mit sanfter Gewalt. Dann hüpften die Mädels um mich herum und diskutierten wild wie genau sie das lange Stück Stoff um mich herum wickeln. Es gibt viele Arten einen Sari zu tragen. Da stopften sie was rein, da legten sie den Stoff in Falten und befestigten alles mit ein paar Sicherheitsnadeln. Eine türkise Kette, Armband, Ohrringe, Bindi und Schminke vervollständigten das traditionelle Outfit. Schlieβlich hatten sie sich vorgenommen aus mir eine indische Braut zu machen. Ich hoffe der Kunde ahnt zumindest welchen stundenlangen Aufwand die Frauen hier für ihn betreiben.
Als dann endlich alles saβ, fühlte ich mich schon sehr indisch. Wenn auch etwas nackt, da die Bluse so kurz ist und der Sari nicht den ganzen Oberkörper bedeckt. Ich kam nicht umhin langsam und gemächlich über den Boden zu gleiten. Das Groβraumbüro verwandelte sich in einen Laufsteg – jedenfalls verfolgten mich viele Augenpaare bis zu meinem Arbeitsplatz. Von den Frauen bekam ich unzählig viele Komplimente für das Outfit. Oder sie sagten: „Du siehst aus wie eine Puppe.“ Ob das jetzt an meiner Porzellanhaut liegt oder an meinem steifen Storchengang vermochte ich nicht auszumachen.
Selbst Mr. Desai machte mir via Skype ein Kompliment in deutscher Sprache: „Hallo. Guten Morgan. Sie sehen sehr schön.“


Ein paar Mädels und ich nutzten den roten Teppich am Firmeneingang für eine kleine Fotosession. So wie ich das verstanden habe, werden Bilder von Frauen in Saris als Bewerbungsfotos zur Hochzeit benutzt. Prajna möchte jetzt noch nicht heiraten und verheimlicht deshalb ihrer Familie immer, wenn sie einen Sari trägt. Sie ist gegen die hinduistische Mentalität der strengen Kastenteilung und dass Eltern den Mann fürs Leben bestimmen. Einen Freund zu haben, ist demnach eine Schande. Wie aus einer anderen Welt ist es für sie zu hören, dass meine Eltern meinen Freund akzeptieren und sogar sehr mögen. Männer haben hier oft noch die Wahl bei ihrer Zukünftigen, aber Frauen haben kein Mitbestimmungsrecht. Sie kennen sich kaum bei der Hochzeit und dann heiβt es Kinder kriegen und der Kreislauf schlieβt sich. Hoffnung gibt, dass Prajna es anders machen möchte bei ihren Kindern. Zeit für eine neue Generation!
Eine andere, die hier ein Studentenpraktikum absolviert, erzählte, dass ihre Mutter auch einen Mann für sie suche. Es sei aber schwierig einen zu finden, der auch so gebildet (Master-Studium), groβ und füllig sei wie sie.

Priyanka, ich und Prajna
Sri (Sridevi)
Priyanka
Prajna
Im Hintergrund: Sweta und zwei Abteilungsleiter

In der Mittagspause kam Martin mich auf Arbeit besuchen. Die Mädels hatten das vorgeschlagen, damit er mich im Sari sehen könne. Trotz Prüfungsstress hatte er sofort zugesagt und war nach einigen Problemen hierher zu finden zum ersten Mal an meiner täglichen Wirkungsstätte. Er erkannte mich erst auf den zweiten Blick, war dann aber fasziniert und stellte fest, dass ich die schönste Farbe trage. Seine Worte durfte ich an diesem und am nächsten Tag noch unzählige Male für alle neugierigen Kolleginnen zitieren.


Alle waren neugierig auf Martin, aber der Zeitpunkt doch denkbar ungünstig, da der Kunde jeden Augenblick hier eintreffen sollte. So blieb nur Zeit für Snack und Smalltalk. Sweta bat ihn unbedingt wieder zu kommen, damit wir ihm dann in aller Ruhe die gesamte Firma zeigen könnten. Als er dann wieder weg war, war Martin Gesprächsthema Nummer 1 – bis die Kunden kamen. Wieder Niederländer. Wieder Smalltalk. Wieder nett. Aber zu meinem Sari haben sie nichts gesagt.
Am nächsten Morgen gab ich der lieben Sri meine Fotos im Sari. Hätte ich ahnen können, dass diese in sekundenschnelle via Skype durch die Firma sausten? Es folgten wieder Komplimente, dass mir das Türkis auβerordentlich gut stehen und, dass Martin und ich unheimlich gut zusammen passen würden. 
Herzallerliebst, diese Inder!


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