Samstag, 26. Februar 2011

14/ Deutsch für Anfänger

Vor einiger Zeit sagte mein Chef zu mir: „Du kannst uns doch Deutsch beibringen!“ Ich dachte, es wäre nur dahin gesagt, aber hier ist man alles andere als oberflächlich. Es war sein voller Ernst und ich durfte mich mit dem Gedanken anfreunden, zum ersten Mal in meinem Leben Lehrer zu sein. Mrs. Meier erweitert ihren beruflichen Horizont.
Das „Lehrer-Gen“ habe ich bestimmt im Blut – schließlich hat meine Familie schon erstklassige Lehrpersönlichkeiten hervorgebracht. Meine Großeltern mütterlicherseits haben beide an der TU Chemnitz Studenten gestrietzt. Es kann kein Zufall sein; meine Oma gab dort vorrangig Deutschunterricht für Ausländer. Während sie die Deutsch-Kenntnisse von Doktoranden auf höchstes sprachliches Niveau zu steigern wusste, werde ich an der indischen Front ganz bei 0 anfangen. Dank Skype konnte sie mir schnell noch wichtige Kniffe und Tricks verraten.

Mit Powerpointpräsentation und Arbeitsblatt war ich bestens vorbereitet. Vor mir saßen erwartungsvoll der Chef, einige Abteilungsleiter und Leute aus dem Marketing. Los ging’s: „Welcome“. Zuerst fragte ich nach deutschen Wörtern, die sie bereits kennen: „Schäferhund“ und „Volkswagen“. Dann erklärte ich ihnen ,warum es gut ist, einer der über 120 Millionen Menschen zu sein, die Deutsch sprechen.
In jeder Stunde erfahren sie außerdem Wissenswertes über Deutschland (natürlich auf Englisch). In der ersten Stunde waren die Flagge und das Wappen dran. Bei der Frage, welche Bedeutung die Farben schwarz, rot, gold hätten, musste ich erstmal passen.





Beim geografischen Teil ist besonders erwähnenswert, dass Indien 9-mal größer ist als Deutschland. Die BRD grenzt an mehr europäische Staaten als jedes andere Land auf dem Kontinent. Großes Interesse zeigten sie natürlich beim Thema Wirtschaft: Nachdem Deutschland von 2003 – 2008 Exportweltmeister war, mussten wir den Titel ab 2009 an China abtreten. Deutschland ist also die zweitgrößte Export- und drittgrößte Importnation (2009). Der Dienstleistungssektor hat in Indien und Deutschland den größten Anteil an der Gesamtwirtschaftsleistung. Im Gegensatz zur BRD ist Indien aber immer noch sehr stark agrarisch geprägt.


Nun zum sprachlichen Teil meines Unterrrichts: Die deutsche und die englische Sprache haben sehr viel gemeinsam. Oft erkennt man an der Schreibweise der Wörter denselben Ursprung; die Aussprache kann natürlich unterschiedlich sein: word - Wort. Dennoch ist Deutsch eine strukturiertere Sprache als Englisch und hat eine komplexere Grammatik. Deswegen gibt es auch einige Unterschiede: Deutsch hat drei verschiedene Artikel, mehr Buchstaben (ä, ö, ü, ß), Substantive werden groß geschrieben, „ich“ wiederum nicht usw.
Bei der Aussprache sind Wörter wie „ich“, „Buch“, „Tschüss“ und „schlecht“ (ganz fieses Wort) die größten Herausforderungen. Martin hat vorgeschlagen ich solle ihnen den ch-Laut anhand von Ausspucken erklären – das würde genauso klingen. Wenn ich es ihnen oft genug laut und deutlich vorspreche, schaffen sie meist auch die schwierigen Silbenkonstellationen.
Ich kann also sehr stolz auf meine Klasse sein. Alle sind interessiert, fragen viel und sprechen mir alles fleißig nach. Einer der älteren Abteilungsleiter weiß meine Aufmerksamkeit stets besonders auf sich zu ziehen. Ich hatte sie gebeten mit Hilfe einer Vokabelliste einen kleinen Dialog zu übersetzen. Er meldete sich „Excuse me.“ und stellte etwas empört fest, dass ein Wort nicht in der Vokabelliste aufgeführt sei. Ich antwortete verständnisvoll: „Das Wort ‚Franz‘ ist der Name.“ Da hatte der Fragende die Lacher auf seiner Seite.
Überhaupt gibt es immer viel zu lachen im Deutsch-Unterricht; besonders, wenn ich aus Versehen die Lösung vorsage oder mich beim ständigen Wechsel zwischen Deutsch und Englisch verheddere. Sehr flexibel muss ich auch bei der Anwesenheit sein. Der Unterricht findet jeden Tag (Mo-Sa) von 16.30 – 17.15 statt. Nicht immer sind wir vollständig. Das hat zur Folge, dass ich zu Beginn manchmal zwei Unterrichtseinheiten für die Vermissten kurz zusammenfassen muss. Das ist nicht weiter schlimm, da Wiederholungen auch für die anderen von Vorteil sind. Es ist schön, dass diese vielbeschäftigten Menschen überhaupt bereit sind eine neue Sprache zu erlernen und dafür jeden Tag eine ¾ Stunde ihrer Zeit opfern.
Für mich hat es den Effekt, dass ich mich hier gleich noch ein bisschen heimischer fühle, wenn ich jetzt auf Deutsch begrüßt und verabschiedet werde. Der ehrgeizige Chef wagt sogar schon erste deutsche Skype-Unterhaltungen mit mir.


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