Dienstag, 1. Februar 2011

5/ Khao, pio, maja karo!, Tempel und Strand


Sonntag ist endlich Wochenende in Indien und wir verbrachten den Tag getreu der indischen Lebensmaxime „Khao, pio, maja karo!“ (Iss, trink, hab Spaß!).

Alles begann mit dem Weckerklingeln 6.00 Uhr. Ein Kommilitone von Martin und dessen Freunde wohnen bei uns im Haus. Zusammen sind wir mit der Rikscha zum Bahnhof in Udupi gefahren. Wir mussten den doppelten Preis zahlen, da es für den Tagespreis noch zu früh war. Dennoch zahlte Martins Kommilitone für unsere Rikscha 20 Rupien mehr als seine Freunde. Wahrscheinlich weil er zwei „Weiße“ an Bord hatte.
Dort angekommen, wurden wir - wie so oft - von allen Anwesenden beäugt. Ich versuche immer alle Blicke gekonnt zu ignorieren. Martin ist sich sicher, dass alle nur mich anschauen. Vielleicht weil ich eine Frau bin oder noch „weißer“ bin als er. Meine Schultern waren jedenfalls bedeckt, aber ein Viertel meiner Beine war zu sehen.
Erst warteten wir darauf, bis die gesamte Truppe vollzählig ist. Dann warteten wir auf den Zug, wobei man sich nie sicher sein kann, wann er genau eintreffen wird. 

Die Mädels (Ich bin übrigens die Jüngste.)
Die Jungs

Als der Zug da war, wurde gedrängelt um Leben und Tod. Wir betraten einen muffigen überfüllten Zug, der in Deutschland schon längst verschrottet worden wäre. 
Im Zug - die Decke ist mit Ventilatoren übersäht.

Einige unserer 13-köpfigen Mannschaft hatten einen Platz ergattert. Sie wurden Martin und mir auch sogleich angeboten. In Indien werden Gäste nämlich als Götter angesehen und dementsprechend behandelt. So hatte ich einen guten Blick durch Gitterstäbe auf die fantastische vorbeiziehende Landschaft. 

 



Doch immer, wenn ich mich wieder dem Zuginnern zuwendete, traf ich irgendein dunkles Augenpaar. Unsere Freunde vertrieben ihre Zeit mit pantomimischem Bollywood-Film-Raten. Durch die engen Gänge hangelten sich immer wieder Menschen, die verschiedenes Essen und Trinken anboten. Zwei Stunden sollte die Zugfahrt auf den ungemütlichen Bänken dauern. Doch es lohnt sich allemal, ist es doch die preisgünstigste Möglichkeit von A nach B in Indien zu kommen. 
Zweimal laut klatschende Hände rissen mich aus meinem Dahindösen: Eine Person im gelben Sari (Kleid der indischen Frauen) ging durch den Zug und klatschte jede Person „wach“. Solche Menschen sind für Inder „weder Mann noch Frau“. Ich ließ mir sagen: Sie können nicht arbeiten gehen und sammeln deswegen Geld ein. Sie bilden eine Gemeinschaft mit anderen Transvestiten, Transsexuellen…was auch immer. Die Jüngeren gehen betteln und versorgen die Älteren. Zu meiner Verwunderung gaben viele Menschen Geld. Angeblich sollen die Worte dieser Personen wahr werden und so will man sie nicht verärgern. Ich selbst empfand das als sehr störend und absolut nicht gerechtfertigt – aber zum Glück kommt man mit „Ignorieren“ in Indien sehr weit.

Rechts oben: der Bahnhof; der Tempel auf der Halbinsel
Endlich in unserem Zielort Murudeshwara angekommen, liefen wir eine belebte Straße mit unzähligen kleinen Ständen entlang. "Murudeshwara" ist ein anderer Name für den hinduistischen Gott Shiva. Hindu-Tempel sind jeweils einer Gottheit geweiht – dieser also dem Gott Shiva. Der Tempel wurde auf einem Hügel erbaut, wobei drei Seiten vom Arabischen Meer umgeben sind.




Schon von weitem konnte man das 20-stöckige Gopura sehen. Zwei lebensgroße Elefanten bildeten den Eingang zum Tempel. 


 
Vor dem Tempel hieß es Schuhe ausziehen. Im Tempel erwarteten uns verschiedenste Statuen, goldene Verzierungen und viele Menschen. In einem separaten Raum in der Mitte befand sich ein Geistlicher. Dort wurden Riten vollzogen und gebetet. Es roch nach Räucherstäbchen und die Frauen bekamen Blumen, die sie sich ins Haar steckten. Andere tranken etwas, was der Geistliche verteilte. Martin ist das Religiöse etwas suspekt, aber ich fand es sehr interessant. Es ist schön, dass man tolerant auch Nicht-Hindus in die Tempel hinein lässt – und das ohne Eintritt. Ich hatte das Gefühl dieser Platz war den Indern gewidmet anstatt Touristenschwärmen. Umso erstaunlicher war es für die Inder zwei „Weiße“ zu Gesicht zu bekommen.
Größte Shiva-Statue der Welt (37 m)






Zwei kleine Jungs kamen auf mich zu: Der Ältere sagte zu mir „Photo“ und zeigte auf sich und den anderen. Der Kleinere versuchte zu entfliehen, aber der Große hielt ihn fest. Also fragte ich, ob ich ihn denn fotografieren dürfte. Da nickte er ganz verschüchtert. Dann kamen zwei kleine Mädchen dazu und wollten auch auf das Foto. Dann wollten sie ein Foto mit mir zusammen. Der kleine Junge fragte mich: „Where are you from?“ Ich kniete mich zu ihm nieder und sagte: „Germany. Weißt du denn wo Deutschland ist?” „Nein“ „In Europa.“ Er gab mir seine Hand und verriet mir seinen Namen und ich meinen. Er kam aus Bangalore (Hauptstadt von Karnataka) und wollte mich sogar zu sich nach Hause einladen. Schließlich kam die ganze Familie.




Damit begann die große Foto-Jagd auf uns. Frauen in Saris, Männer, Jugendliche – alle wollten auf ein Foto mit uns. Ich war zwar etwas irritiert, aber erfüllte ihnen gern den Wunsch. Inder sind meist sehr emotionale Menschen, von der „ganz normalen“ Bewunderung bis zur Vergötterung kann es da ein kleiner Schritt sein.
Als sich der gesamte Tempel allerdings mit fotowütigen Indern überfüllte, brachten uns unsere indischen Freunde weg. Sie sagten, wir seien so eine Art „Celebrities“ in Indien. Wer weiß in welchen indischen Wohnzimmern oder Facebook-Accounts wir jetzt als Statussymbole verewigt sind. Keine Angst, ich bin auf dem Boden geblieben. ;) Hari fragte mich, ob es für ihn auch so wäre, wenn er nach Deutschland käme. Etwas überrascht, aber im Nachhinein nachdenklich werdend, antwortete ich: „Nein“.
Als die nächsten nach einem Foto fragten, schlugen unsere indischen Freunde vor Geld zu verlangen. Dann machten Martin und ich ein Foto mit einer aus unserer Gruppe und ich streckte die Hand aus und forderte: „100 Rupees!“ Alle lachten. Beim nächsten Foto mit einem Freund streckte er die Hand zu mir aus und verlangte: „100 Rupees!“ Wir lachten Tränen.“
Wieder raus aus dem Tempel, wollten sich gleich wieder Männer mit mir fotografieren. Hari wehrte ab, sie müsse auf ihren „Husband“ (Mann) warten. Zu mir sagte er ich soll mir etwas überziehen. Seit diesem Ereignis wurde ich noch mehr von unseren indischen Freunden überwacht. Hari sagte zu Martin, er solle besser auf mich aufpassen.

Dann gingen wir in ein Restaurant und feierten Haris Geburtstag mit einer Torte.


Dürfen nur inoffiziell ein Pärchen sein













Den ganzen Tag hatte ich es herbei gesehnt – Sonnenbaden am Strand. Daraus wurde nicht viel. Bis zur entlegensten Stelle sind wir unter Beobachtung gelaufen. Auffällig oft kamen Menschen, Motorräder oder sogar Autos direkt an uns vorbei. Alle schauten uns unablässig an, dabei hatte ich mir noch mehr über gezogen wegen der brennenden Sonne. Wir hatten trotzdem unseren Spaß, wanderten im Wasser, übten ein bisschen Salsa…ja, das klingt nach Urlaub. 

Einsiedler-Krebs
 
Ein gehöriger Sonnenbrand ließ sich trotzdem nicht vermeiden. Mit einem kühl-nassen Handtuch vermummt, einen roten Punkt auf der Stirn und hellen Beinen lief ich als weiße Hindu-Moslemin zurück. Die Aufmerksamkeit war mir wieder sicher.
Wieder am Bahnhof, sollten wir für unsere indischen Freunde ein deutsches Lied singen. Schnell studierte ich mit Martin den Kanon „Der Hahn ist tot“ ein. Von dem „co co di co co da“ waren alle so begeistert, dass sie mitsangen. Dann wurden wir mit diversen viel zu süßen Süßigkeiten und einer gesalzenen Ananas wieder an die kulinarischen Unterschiede erinnert.
Auf dem Nachhauseweg vom Bahnhof von Udupi hatte ich zum ersten Mal die Gelegenheit mit einem indischen Bus zu fahren – "abenteuerlich" ist untertrieben. Laut wurden die Stationen ausgerufen, an denen der Bus Halt machen würde, dann hieß es schnell schnell einsteigen (auf einmal sind die sonst so gemütlichen Inder wie von der Tarantel gestochen). Im Bus waren nur noch Stehplätze. Martin parkte seinen Kopf zwischen Busdach und zwei Eisenstangen – immer nahe der Gehirnerschütterung. Durch die Sehschlitze der Mosleminnen-Gewänder blitzen mich dunkle Augen an. Der Bus fuhr noch schlimmer als die Rikschas, nahm jedes Schlagloch mit, raste, hupte, überholte – wir hatten ca. 5 Sekunden zum Aussteigen, dann fuhr er wieder los.
Die kalte Dusche und das harte Bett begrüßten mich herzlich.


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