Freitag, 11. Februar 2011

9/ Verlust, Freundschaft und Fleisch


Aktuelle Bestandsaufnahme: Der „Kulturschock" ist milde ausgefallen.


 „Der Kulturschock ist nichts weiter, als das Beharren, dass die eigenen Werte die richtigen sind, die anderen die „unnormalen“. Diese Haltung, die natürlicherweise eine Nicht-Anpassung an die Kultur der Besuchten nach sich zieht, führt unweigerlich zum Konflikt.“ (Indien-Ratgeber)
So möchte ich versuchen Land und Leute zu verstehen, tolerant zu sein und mich ausreichend anzupassen.

Alles, was ich in diesem Blog schreibe, beruht natürlich auf einer subjektiven Beobachtung und Auswertung. Von Einzelbeispielen kann man nie auf eine große Masse schließen. „Indien ist ein kunterbuntes Gemisch verschiedener Religionen, Rassen, Landsmannschaften und lokaler Traditionen. Die Inder können so sehr in ihren Denkschemata voneinander variieren, dass auch innerhalb des Landes noch Raum für Kulturschock bleibt.“ (siehe Dtl.). 


Bine und die Schuhe

Nichts ahnend lief ich Dienstagmorgen – genau eine Woche nach meinem ersten Arbeitstag in Indien – Manipals Mondlandschaft entlang. In Deutschland spricht man auch gerne von einem „Fußgängerweg“. Trotz meiner erst kurzen Aufenthaltsdauer hier kann ich stolz behaupten, dass meine Augen in Bezug auf Multitaskingfähigkeit bereits ausreichend qualifiziert wurden. Meine Chamäleonaugen haben gleichzeitig sämtliche Bodenauswüchse, kleines und großes Getier, Menschen, Fahrräder, Mopeds, Rikschas, Autos, Busse und LKWs im Blick – dabei ist hier alles außer Rand und Band. Es herrsche die Fortbewegungsanarchie!
Jedenfalls hastete ich von einem imaginären Hüpfekästchen zum nächsten. Plötzlich bemerkte ich eine Störung in meinem automatisierten Bewegungsablauf. Mein rechter Schuh hatte soeben einen seiner letzten Atemzüge getätigt und blieb entkräftet auf der Strecke. (Bei Blogeintrag 7 hatte ich ihnen noch bis zu einem halben Jahr Lebenszeit vorausgesagt.) Da stand ich nun und fühlte mich, als hätte mir jemand auf den letzten hundert Metern zur Spitze des Mount Everests meine Luftversorgungsausrüstung geklaut. Doch die Arbeit ruft und ich humpelte mit 1,25 Schuhen zum Bus. Die Inder schienen an mir vorbeizurasen, und mitleidige bis spöttische  Blicke versuchte ich auf ihren Gesichtern zu erkennen. Damit hatte ich den Tiefpunkt des Tages bereits pünktlich vor 9.00 Uhr in der Tasche.
Nach der Arbeit kannte ich nur ein Ziel: Schuhe kaufen - um endlich wieder ein vollwertiger Teilnehmer im indischen Verkehrschaos zu werden. Die indischen Frauen bevorzugen ja Flip Flops. Ich bin mittlerweile der Meinung, dass nur Bundeswehr-Stiefel ein einigermaßen passender Fußbelag wären. Aus ästhetischen und temperaturbezogenen Gründen sollten es dann doch wieder Sandalen werden. Auf dem „Markt“ gab es natürlich nur Flip Flops und Badelatschen weit unterhalb meiner Schuhgröße. Dann blieb nur noch der Reebok-Laden übrig. Martin und ich betraten zum ersten Mal ein Geschäft, das sich von einem deutschen nicht unterscheiden ließ – fast! Egal ob Geschäfte oder Restaurants, schon allein der Eingangsbereich ist in Indien chronisch überbesetzt. Meistens gibt es mehr Angestellte als Kunden. Außer vielleicht im Bus, der reicht mit durchschnittlich 3 Mitarbeitern nicht an die Fahrgäste heran.
Im Reebok-Laden wurde mir dann zunächst ein hausschuhähnliches Paar für 3.000 Rupien angeboten. Für nur knapp 50 Euro ein Schnäppchen... . ;) Der Verkäufer sah unsere Mundwinkel nach unten wandern. Als kluger Geschäftsmann fragte er natürlich gleich: „Woher kommt ihr denn?“ Gutgläubig wie ich war, dachte ich er wäre nur neugierig und wollte ein bisschen plaudern. Ich antwortete: „Germany.“ Fataler Fehler. Er: „Und da gibt’s die Schuhe billiger?“ Mist, hätte ich nur Äthiopien gesagt, oder um realistisch zu bleiben zumindest Südafrika. Aber mein Konter ließ nicht lange auf sich warten und ich protestierte: „In Deutschland sind die Straßen auch viel besser und deshalb braucht man dort nicht ständig neue Schuhe zu kaufen.“ Von begehbaren Schuhmuseen mancher Frauen brauchte ich ja nichts zu erwähnen.
Dann durfte ich zum Glück noch ein billigeres Paar richtiger Sandalen mit robust-dicker Sohle anprobieren. Preislich blieb er erst einmal recht uneindeutig. Aber nachdem er mir wie einer Oma in die Schuhe geholfen hatte und sah, dass sie mir gefielen, wollte er nun 1.600 haben. Martin handelte noch auf 1.500 runter und der Verkäufer gewährte ohne Protest. Das hätte mir zu denken geben müssen. Ich muss zugeben, dass wir zu diesem Zeitpunkt einem Rechenfehler unterlagen. Wir gingen von 15 Euro anstatt von 24 Euro aus...naja. Das Wichtigste ist doch, ich habe endlich wieder funktionstüchtiges (Marken-)Schuhwerk. Die Survivor-Wanderungen können also weiter gehen.


Bine und ihre neuen indischen Freundinnen

Langsam fühle ich mich hier schon richtig wohl und heimisch. Und solche Gefühle hat man (fast) immer Menschen zu verdanken. Mit der Verständigung klappt es auch langsam etwas besser und ich darf mindestens einmal am Tag der Grund für lautstarkes Gelächter sein. :) Humor kennt nun wirklich keine Sprache.

1
Donnerstagnachmittag 17.15.: Es ist Pause und vor mir steht ein Metallbecher mit glühend heißem indischem Tee. Mein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es langsam Zeit wäre zu gehen. Also packe ich meine Wasserflasche aus und will mit ein paar Spritzern den Tee trinkbarer machen. Plötzlich schreien die Mädels los: „Nooooo!!!!“ Etwas verunsichert schaue ich in die Menge und versuche mich zu rechtfertigen: „Warum nicht? Tee wird doch aus Wasser gemacht.“ Antwort: „Der ganze Geschmack verschwindet!“ Um die Gemüter nicht noch mehr zu erregen, erwidere ich: „Ok ok, ich pack sie ja schon weg.“

2
Mittwochnachmittag stehe ich mit einigen meiner Freundinnen an der „Bushaltestelle“. Der Bus kommt und ich reihe mich in die Menschentraube ein. Die Mädels rufen: „Nicht einsteigen, der Bus ist zu überfüllt. Wir nehmen den nächsten.“ Ich zucke mit den Achseln „Why not?“. Sie schauen mich ungläubig an.
Also wirklich, das sollte das kleinste Hindernis sein – schließlich bin ich Chemnitzer Busse gewöhnt.


Frauenthemen dürfen natürlich nicht fehlen. So bekomme ich immer mal wieder Komplimente für ein (stinknormales) T-Shirt und meine (stinklangweilige) Frisur bzw. Haarpracht. Indische Frauen tragen ihre Frisuren meist zugekleistert mit Öl, damit alles perfekt sitzt und kein Windstoß etwas daran ändern kann.


Bine und das Essen

Positivstes Geschmackserlebnis

Nach vielen Tagen vegetarisch (über)leben, war es an der Zeit für etwas Ordentliches. Das „Ordentliche“ nennt sich Sizzler und ist das teuerste Gericht, das Restaurants hier zu bieten haben. Der Chicken Steak Sizzler für 130 Rupien war unsere alternativlose Wahl. Der Augen- und Gaumenschmaus wird dampfend auf einer mit Salatblättern belegten Pfanne serviert. Dazu gibt es entweder Reis oder Spaghetti, Pommes, Gemüse und das Chicken-Steak. Fantastisch!



Negativstes „Restaurant“-Erlebnis

Wir wollten mal etwas Neues probieren. Direkt neben unserem Lieblingseisladen befindet sich eine kleine Hütte, wo sich immer viele junge Leute die Bäuche voll schlagen. Auf einem Teller hatte ich sogar mal aus der Ferne Spaghetti schimmern sehen. Jedenfalls setzten wir uns an einen der drei Tische. Nach einer Weile kam ein alter Mann und erzählte uns ca. 10 Sekunden lang irgendetwas. Beim vorletzten Wort bekam ich dann mit, dass er uns soeben alle Gerichte vorgetragen hatte, die wir bestellen können. Dann legte er uns einen Stift und einen Schreibblock hin und verschwand. Martin und ich saßen etwas verdattert da. Vergeblich suchten wir nach einer Speisekarte oder zumindest einem Aushang – schon ein handbeschriebenes Blatt Papier hätte mir gereicht. Der Hunger trieb mich Richtung Küche – eine kleine dunkle Ecke, weitere Details erspare ich euch. Von einer alten Frau ließ ich mir noch mal die Gerichte aufzählen – ich glaube es waren ungefähr 6. Alle beinhalteten entweder „Egg“ oder „Toast“. Wir bestellten, wir aßen, wir kommen nie wieder.

2 Kommentare:

  1. zunächst mal großes Lob an die Blogschreiberin, sehr lesenswert.

    Zu eurem "negativem" Erlebnis: Ich kann mir glaub ich genau denken in welchem "Restaurant" ihr gewesen seid. Versucht mal Cheese Maggie mit Toast, das ist echt lecker. Wir waren sehr oft bei dem Kollegen mit Stift und Zettel und wir fanden alle das es sehr lecker bei ihm war. Gebt ihm doch nochmal eine Chance :-) Viel Spaß noch

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  2. Hey,
    vielen lieben Dank für deinen Kommentar und die lobenden Worte. Manipal-Alteingesessene sind immer herzlich willkommen.
    Netter Tipp, aber ich weiß echt nicht, ob wir da noch mal hingehen. Also so besonders fand ich den Geschmack nun nicht - war halt einfach was mit Ei. Und für das Geld, was ich dort ausgeben muss, um satt zu werden, kann ich mir in nem schicken sauberen Restaurant ne vollwertige Mahlzeit kaufen. ;)
    Aber was genau ist denn das Cheese Maggie? Vielleicht probier ich das mal als kleinen Snack zwischendurch.
    Viele Grüße aus Manipal

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