Freitag, 18. Februar 2011

11/ Indien – liebenswert bis schmerzhaft


Jeden Tag, wenn ich von Arbeit nach Hause komme, sage ich zu Martin: „Ich muss dir ganz viel erzählen.“ Teilweise abendfüllend sind dann meine erlebnisreichen, ungewöhnlichen und lustigen Ausführungen. Da ich euch nichts vorenthalten möchte, fasse ich jetzt noch mal für euch meine aufregende Woche zusammen.


Priyanka

Mein Morgen beginnt jetzt immer sehr entspannt. Priyanka hat mir einen Geheimtipp in Sachen Busse verraten. Es handelt sich um einen großen weißen Bus (das ist noch nichts Besonderes), der immer 8.40 Uhr vom Tiger Circle abfährt – der ist sogar pünktlich! Im Bus werde ich von indischer Gute-Laune-Musik und einem netten Platz am Fenster empfangen. Ich genieße den erfrischenden Fahrtwind und betrachte Manipals Landschaft. Nach 5 Minuten werde ich dann direkt vor meiner Firma abgesetzt, die ich mit einem Lächeln auf den Lippen betrete.
Das habe ich Priyanka zu verdanken. Ich schätze ihr sehr gutes verständliches Englisch sowie ihre offene direkte Art. Sie ist herzlich und freundlich wie alle Inderinnen, aber von ihr werde ich nicht nur in Watte gehüllt. Gern lasse ich mich von Priyanka schon mal darauf hinweisen, dass ich zu laut spreche oder nicht gerade laufe. Außerdem wohnt sie ganz bei mir in der Nähe. Die perfekte Freundin für mich, aber allzu viel Gelegenheiten haben wir nicht. In den Pausen habe ich immer meinen festen Mädelskreis um mich herum. Außerdem arbeitet sie ziemlich lange – meist von um 9 bis halb 8. Sie bekommt die Überstunden nicht bezahlt. Ich fragte sie, warum sie das macht. Sie antwortete: „Ich habe so viel zu tun.“ Dann bot ich ihr meine Hilfe an. Als sie mich nach meinen Programmierkenntnissen fragte, winkte ich ab.
Priyanka würde unheimlich gerne einen Tanzkurs besuchen. Aber ihre Eltern erlauben es nicht und viel Zeit hat sie ja sowieso nicht. Daher tanzt sie zu Hause zu Videoclips.
Sie ist so jung und verbringt ihr Leben nur mit Arbeit und mit dem Einhalten von Vorschriften ihrer Eltern. Ich würde mir wünschen, dass sie ihre Träume verwirklicht. Vielleicht kann ich mal etwas mit ihr unternehmen oder ihr ein paar Salsa-Schritte beibringen.


Schmerzvoller Sonnenbrand

Anfang dieser Woche hatte ich ja noch schwer mit meinem Sonnenbrand zu kämpfen. In solchen Situationen merkt man mal wieder, dass wir das Leben unter indischer Sonne nicht immer 1:1 von den Indern übernehmen können. Ich verbrachte die Zeit mit Wadenwickel, Eincremen und Wasserbädern – der Valentinstag fiel somit ins Wasser.
Am nächsten Morgen fragte Vina mich, was ich denn zum Valentinstag bekommen hätte.
Ich schüttelte den Kopf und erklärte ihr, dass wir normalerweise immer etwas Besonderes unternehmen. Ging diesmal leider nicht. Aber bei uns ist sowieso jeden Tag Valentinstag.
Vina berichtete freudig, dass sie ein Kleid und andere Dinge geschenkt bekommen habe.
Sie ist 25 Jahre alt und darf sehr stolz auf ihre 2,5-jährige love marriage (Liebesheirat) mit einem Klassenkameraden sein.


Die „Fremden“ ;)

Mitte dieser Woche saß ich vertieft an meinem Arbeitsplatz. Als ich meinen Blick nach links wendete, blickte ich einige Meter weiter plötzlich in ein weißes Gesicht und stahlblaue Augen. Da erinnerte ich mich wieder, dass Kunden aus den Niederlanden hier für ein paar Tage eine Art Training durchführen wollten. Sie spezialisieren ausgewählte Mitarbeiter auf ihre individuellen Bedürfnisse der Zusammenarbeit.
Wenige Minuten später spazierten drei große weltmännische Was-zu-sagen-Haber durch die einzelnen Abteilungen. Als sie mich sahen, scherzten sie: „Da sitzt ja auch eine typisch indische Frau. ... Sieht wohl eher nach einer Deutschen aus.“ Da fragte ich mich: Sehe ich wirklich so „deutsch“ aus oder waren sie informiert? Dann kamen sie an meinen Tisch und unterhielten sich mit mir. Sie machen etwas mit Publishing usw. und wollen in den deutschen Markt einsteigen. Einer holte sogleich sein iPhone hervor und zeigte mir irgendetwas. Das Ding ist ja unangefochtenes Statussymbol (für Männer) und die Inkarnation von erhöhtem Geltungsbedürfnis in Einem.
Wahrscheinlich lag es aber doch eher an ihrer Hautfarbe, dass die Frauen ihnen kichernd bis anbetend hinterher schauten. Das mache ich zwar nicht, aber teilweise fühle ich mich hier Indern näher als Landesnachbarn oder Hautverwandten.


Indisches All-inclusive-Verwöhnprogramm

Zu dem Thema hatte ich zwar schon mal etwas geschrieben, aber in dieser Woche verdeutlichte sich mir manches umso mehr.
Am Mittagstisch:
Jede schiebt mir ihr Essen in kleinen Metallbüchsen hin und sagt: „Taste!“ (Koste!). Die Mischung aus Höflichkeit und Neugier veranlasst mich zu kosten. Mittlerweile habe ich mir schon angewöhnt zu sagen: „It‘s ok, but ...“ Rutscht mir dann doch einmal heraus, dass es mir gut schmeckt, schaufeln sie mir reichlich auf meinen Teller. Wenn ich es aufgegessen habe, kann es passieren, dass der nächste Berg auf dem Teller landet. So kann es vorkommen, dass ich mein Essen gar nicht anzurühren brauche.
Besonders schlimm ist meine Beste: Sri. Ohne dass ich irgendetwas gesagt hätte, holt sie mir ein Glas (Metallbecher), einen Löffel oder öffnet für mich die verknoteten Tüten, in denen sich Soße befindet. Jeden Tag fragt sie, was ich zum Mittag und nachmittags essen möchte und bestellt es für mich. Dennoch ist von ihrem Essen immer eine Portion für mich reserviert. Sie kümmert sich einfach rührend.
Einmal hatte ich es geschafft, dass sie auch von meinem Essen kostete. Sie fand es lecker und ich fragte sie, ob sie noch mehr möchte. Dann sagte sie schnell, dass es doch nicht lecker ist. ;)
Beim Kaffeetrinken darf ich meine Kekse, Sandwiches oder frittierten Teigtaschen nie bezahlen. Und selbst im Bus musste ich mich einladen lassen.

Sie schaffen es hervorragend, dass ich mich als „Gast“ ständig schuldig fühlen muss. Von Frauen eingeladen zu werden, erschüttert doch irgendwie mein deutsches Wertesystem und mein Verständnis von Stolz und Gleichberechtigung. Die ziehen das sicher knallhart 6 Monate durch.
Sicherlich führe ich hier nicht das luxeriöseste Leben. Doch das Miteinander, Menschliche ist prägend - respektiert und aufgenommen in die Gemeinschaft. Wir könnten uns ein Beispiel nehmen.


Business-Unterschiede
Die Meetings mit Mr. Desai sind immer äußerst lehrreich – inhaltlich sowie sprachlich.
Er bestellt mich via Skype nach unten in sein Büro und ich werde herein gebeten. Etwas gewöhnungsbedürftig ist, dass ich erst einmal länger warten muss, bis er das laufende Telefonat beendet hat und meistens noch andere Personen im Büro sind, mit denen er noch etwas zu klären hat.
Letztens verdeutlichte er mir die Unterschiede zwischen deutschem und indischem Arbeitsverhalten. (Anzweiflungen und Interpretationen seien jedem selbst überlassen.)
Deutsche würden sehr konzentriert während der Arbeitszeit arbeiten, bei Indern hingegen ist immer Platz für Privates. Beispielsweise fragte er mal einen deutschen Arbeitskollegen, der gerade Vater geworden war, nach seinem Kind. Dieser sagte, er komme 17.30 zu ihm und werde dann berichten. So war es auch – Privates nach der Arbeit.
Deutsche können am Wochenende komplett die Arbeit ausschalten. Inder arbeiten länger und sind ständig für die Arbeit einsatzbereit. Er erzählte mir, dass die Familie mitunter 5 x anrufen muss, damit manch Angestellter von Arbeit nach Hause kommt.
Deutsche möchten für alles immer bezahlen oder bezahlt werden. Inder machen vieles „umsonst“.





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Ich danke euch.

Bye Bye

Bine


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