Donnerstag, 26. Mai 2011

39/ Kleines Alltags-Potpourri


Seit genau 121 Tagen und auf den Tag 4 Monaten befinde ich mich nun in Indien. Qualität vor Quantität - also habe ich euch vor exhibitionistischen Ausuferungen verschont. Gibt ja Interessanteres, als zu lesen, wann ich mit welchem Fuß aufgestanden bin. Trotzdem hier an dieser Stelle jetzt ein bisschen detailverliebter Bine-Alltag mit Anekdoten gespickt:

Wenn ich morgens das Haus verlasse, führt mein Weg unten am Shop vorbei.  1. Gedanke: Hat er schon auf? Fällt 1 positiv aus, folgt Gedanke 2: Wurden meine geliebten ‚Egg Pavs‘ schon geliefert? Oft habe ich Glück und der große Mann mit den dunklen lockigen Haaren wickelt mir die warme mit Ei gefüllte Blätterteigtasche in Zeitungspapier ein. Gern kaufe ich dazu noch Kekse und ein paar Bananen, die hier deutlich kleiner und süßer ausfallen als in Deutschland. Wenn er kein Rückgeld hat, gibt er mir statt einer Rupie kleine Bonbons oder Schokolade.
Während seine Frau relativ gut Englisch spricht, beherrscht der Mann höchstens die Zahlen auf Englisch. Als er wissen wollte, was ich genau mache, begann eine lustige Hand-Fuß-Konversation. Mit pantomimischen Talent tat er so, als schriebe er etwas in ein Heft. Ich verneinte und plapperte auf Englisch los, dass ich nicht studiere, sondern bei MDS in der Industrial Area arbeite. Da klimperte er mit seinen Fingern und fragte: Computer? Ja, ich mache etwas mit dem Computer. :)
Letztens holte er aus den Tiefen seines kleinen vollgestopften Gemischtwarenladens einen Eimer Wasser und stellte ihn vor mich. Ich verkniff mir aufzuschreien, denn darin befand sich eine lebende Maus. Sie paddelte gerade um ihr Leben. Der Anblick war grausam, aber zu dramatisch um wegzusehen. Immer wieder geriet sie mit dem Köpfchen unter Wasser, kämpfte sich wieder hoch und schnappte nach Luft. Wenn das Milch gewesen wäre, könnte sie wenigstens so lange strampeln bis es Butter ist und heraus springen.
Die Zeit morgens drängt. Schnell weiter zur Bushaltestelle, die man als solche natürlich nicht erkennt. Hatte ich am Anfang stolz berichtet wie ich den Weg zum TC (Tiger Circle) erfolgreich zu Fuß in Angriff nehme, bin ich jetzt in der heißesten unerträglichsten Zeit auf den Bus umgestiegen. Ich quetsche mich hinein und versuche mit meinem großen geländetauglichen Schuhwerk keine zarten indischen Füße zu treffen.  In höheren Gefilden muss ich aufpassen, dass mein Kopf nicht gegen die Busdecke und den daran befestigten Stangen knallt. In einer Hand halte ich bereits das Busgeld und bezahle bei nächster Gelegenheit meine 3-4 Rupien. Spätestens beim Warten am TC oder im nächsten Bus tropft der Schweiß unablässig. Gut, dass ich in diesem Bus immer einen luftigen Sitzplatz am Fenster ergattere. Mit fröhlich-indischen Popklängen werde ich auf Arbeit gebracht. 

Der Mann in beige-braun ist der Buskassierer.

Der schöne indisch-rote "Fußgängerweg"


 Mein Lieblingslied im Bus:
 „Mauja Hi Mauja“ (Spaß und mehr Spaß) aus dem Bollywood-Film ‚Jab We Met‘




Wenn ich die Türschwelle zu MDS betrete, begrüßt mich als erstes Deutschland. 


Als zweites hoffentlich mein Lieblingsrezeptionist. Der ältere kleine Mann lächelt mich an, öffnet (nur) mir das Buch zum Eintragen und reicht mir den Stift dazu. Meine Kolleginnen nennen ihn liebevoll „Uncle“, da sich in Indien alle im weiteren Sinne „verwandt“ fühlen.
An meinem Schreibtisch angekommen, logge ich mich bei Skype ein und meist erwartet mich schon eine nette Nachricht von Priyanka: „Hi. Very good morning. Have a wonderful day ahead.“

So ein Großraumbüro hat echt seine Vorteile. Es hat immer jemand Geburtstag oder es gibt sonstige Anlässe (Verlobung, Hochzeitstag). Beinahe täglich geht irgendjemand herum und verteilt leckere Naschereien. Die Süßigkeiten bestehen hauptsächlich aus Zucker, Butter und Nüssen. Manchmal gibt es Kuchen oder Eis. Wenn die Chefs von ihren Reisen (London, Brasilien) wieder kommen, gibt es ebenfalls Süßes für alle Mitarbeiter. Das ist eine schöne betriebsklimafreundliche Tradition – auch wenn sie bei so vielen Mitarbeitern ganz schön ins Geld bzw.  an die Hüften geht. Mein Geburtstag ist ja nicht mehr weit ... Gibt es eigentlich eine typisch deutsche Süßigkeit?



Sri lässt mich immer wissen, wenn jemand Geburtstag hat, damit ich auch ja gratuliere. Wer gratuliert, bekommt im Gegenzug etwas Süßes. Letztens kam Chaitra mit gelben Kugeln vorbei und sie murmelte irgendetwas dazu. Leider habe ich das nicht richtig verstanden und dummerweise nicht nachgefragt. Am nächsten Tage fragte ich Sri, was denn der Anlass bei Chaitra gewesen sei. Da sagte sie mir, dass es Chaitras letzter Tag auf Arbeit gewesen sei, weil sie zu ihrem Mann in den Oman ziehe. Schande über mich – ich habe mich nicht verabschiedet.

Sri bringt gerne etwas Essbares aus dem Tempel mit. Sie schüttet mir dann ein Häufchen in meine Hand. Manchmal sieht es aus wie Vogelfutter oder wie feiner gelber Sand. Zu meiner Überraschung verspeisten sie hier auch schon Bonbons mit dem Namen „Alpenliebe“.

Einmal kamen Kolleginnen aus anderen Abteilungen an meinen Platz und sagten: „Jemand hat uns gesagt, du hast heute etwas besonders Schickes an.“ Ja, der Buschfunk ist hier rasend schnell. Das gilt auch für Fotos. Schickst du einer Kollegin deine Fotos, haben sie binnen weniger Minuten alle auf dem Bildschirm.
Nicht immer treffe ich mit meiner Kleidung den indischen Geschmack: Ich hatte mein Kleid an, dass früher mal ein Nachthemd gewesen war (siehe Blogeintrag 26), jetzt aber sehr schick aussieht.
Prajna versuchte es erst auf die indirekte Art: „Deine schwarze Hose würde sehr gut zu dem Kleid passen.“
Ich:        „Ich trage das aber lieber ohne Hose – das ist luftiger bei der Hitze.“
Prajna eindringlicher: „Mit der Hose sieht das aber viel besser aus.“
Ich:        „Finde ich nicht.“
Prajna rückte mit der Sprache heraus: „Das Kleid ist für die Arbeit nicht geeignet – es ist zu kurz. Und oben...“ (Sie zeigt auf ihren Schal, den hier alle Frauen über dem Dekoltee tragen.)
Ich:        „Was ist das Problem?“
Sie:        „Nichts, es ist schick und du kannst es ja in deiner Freizeit so tragen, aber nicht im Büro.“
Toll...das Kleid ist übrigens knielang, nicht schulterfrei und mit sehr bravem Ausschnitt! Dieses Kleid bringt mir einfach kein Glück.

Putzfrauen haben wir hier auch. Sie essen immer abseits von den Anderen, laufen barfuß und kehren mit einem Bündel aus „Ästen“ durch das glatt gefliesste Büro.
Letztens hatten wir Handwerker im Haus, die ordentlich Lärm gemacht haben. Ihre romantische Ader haben sie kurzerhand in der Wand verewigt. Inder sollen ja ziemlich sensible Menschen sein. Sie merken, wenn es einem nicht so gut geht und haben immer ein offenes Ohr. Dass ich so was extra erwähne, zeigt, dass es nicht selbstverständlich ist. 



Ein ganz netter, herzlicher und besonders extrovertierter Kollege namens Vivian aus dem Marketing ist kürzlich Vater geworden. Stolz zeigte er uns die ersten Bilder von seinem Sohn. Seine Frau hätte lieber eine Tochter bekommen - sie hat 9 Monate lang den wachsenden Bauch immer als „sie“ bezeichnet. Jetzt ist es doch ein Junge geworden. Da sie darauf nicht eingestellt waren, hat es bis jetzt auch noch keinen Namen. „Vivian“ soll auf jeden Fall der Zweitname werden, ansonsten wäre „Joshua“ eine Option für den frisch gebackenen Vater.
Als ich anmerkte, dass das Baby außergewöhnlich hell aussieht, meinten alle um mich herum: Ja, Vivian muss eine sehr hübsche Frau haben. Der arme Vivian wurde bei dem Kompliment nicht bedacht. Und als ob hell mit hübsch gleichzusetzen wäre!
Vivian ist einer der wenigen männlichen Inder, den ich kenne, der mit Frauen genauso locker und ungezwungen umgeht wie mit Männern. Er ist auch der einzige männliche Inder, der mir Komplimente macht. Einmal war er unheimlich fasziniert von meinem grün-glitzernden Oberteil und fragte, wo ich es gekauft hätte - leider in Deutschland. Seitdem ich einmal mit Brille auf Arbeit gekommen, nennt er mich jetzt liebevoll ‚Grandma‘.
Vivian beherrscht es perfekt Menschen in Gespräche zu verwickeln – sei es Smalltalk oder ein lustiger kleiner Schlagabtausch. Wenn ich ihm begegne, begrüßt er mich als erstes mit seinem „Guten Morgen“ mit starker Betonung auf ‚u‘ und ‚o‘.  Neben seiner kommunkativen Ader, versucht er auch gerne witzig zu sein. Mit ihm kann man super rumalbern. Einmal sprachen wir über Sportarten – Leichtathletik haben wir beide ausgeübt. Wir führten das sogleich inkl. Erwärmungsübungen vor. Das war sehr lustig aufgrund der schönen Bürokulisse und einem Vivian, der etwas aus der Form gegangen war. Es endete in einem Armdrücken-Wettkampf auf dem PC, den ich bestimmt nur ganz knapp verlor. :) Ja, Sport fehlt mir hier sehr.

In der Mittagspause kommt es immer wieder zu lustigen Gesprächsthemen. Ich sollte ihnen erklären, was Frühling und Herbst ist, da es das in diesem Sinne hier nicht gibt. Die meisten kennen auch keinen Schnee. Wie es mit dem Regen in Deutschland ist, wollten sie wissen. Anusha, die römisch-katholisch ist, weiß manchmal mehr über „Westliches“ bescheid als die anderen. Sie erklärte ihnen, welche Tischsitten es gibt und dass es viele verschiedene Bestecke für verschiedene Speisen gibt.

Auf Arbeit bestelle ich mein Mittag immer beim einem unschlagbar preisgünstigen „Restaurant“, das aber nicht soviel Auswahl zu bieten hat. Oft bestelle ich gleich noch etwas zum Abendbrot – meist Chicken Fried Rice (35 Rupien) für Martin und Veg Noodles (25 Rupien) für mich. Zu Hause pimpen wir das Ganze noch mit Tomate, Paprika, Zwiebel und Ei – fertig ist unser Standard-Lieblingsgericht.

Achja, ich habe mich unsterblich in einen kleinen, zuckersüßen, tapsigen Hund verliebt. Er spielt immer vor unserem Haus und sieht ziemlich dünn aus, wie alle Hunde hier. Und so wie fast alle Hunde scheint er auch ohne Herrchen zu sein. Wir kommen nicht an ihm vorbei ohne ein bisschen mit ihm zu spielen. Wessen Herz regt sich bitteschön nicht bei den folgenden Fotos/Video?









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