Mittwoch, 11. Mai 2011

36/ Shetty-Hochzeit: 3 Tage, 3 Orte


Martin’s Klassenkameradin Suparna Shetty lud uns zur Hochzeit ihres Bruders ein. Die Hochzeitseinladungen werden von Hand zugestellt (normalerweise von den Geschwistern des Brautpaares), um die Wichtigkeit und Erwünschtheit jedes einzelnen Hochzeitsgasts zu betonen.
Der Name „Shetty“ sagt es schon, dass es sich hier um eine sehr reiche Kaste handelt. Dementsprechend dauerten die Feierlichkeiten mehrere Tage an. Das erste Event fand Samstagabend im Hause der Familie des Bräutigams in Manipal statt.


Mehndi-Fest

Nach einer langen Riksha-Irrfahrt erreichten wir das hell beleuchtete Anwesen irgendwo versteckt in der Industrial Area. Surparna hatte ihre ganze Klasse eingeladen. Wenn man die lieben Mitschüler sonst nie animieren kann etwas zu unternehmen, (zum Essen) zu solchen „Functions“ kommen sie. Alle Feierlichkeiten rund um die Hochzeit sind fast eine Art Pflichtveranstaltung.


Bhagya, Suma und ich

Digvijay, Yuvaraju, Rakesh, Martin und Ankur
Süße indische Kinder


Das Essen nahmen Martin und ich drinnen fernab von den Massen ein. Trotz halbvoller Teller und übervoller Mägen schlug man uns noch eine ordentliche Portion drauf. 



Während die Männer draußen mit dem Bräutigam singend und tanzend seinen letzten Tag in Freiheit feierten, gaben sich die Frauen der Mehndi-Verzierung hin.
Mehndi (auch Mehendi) ist die Kunst der Körperbemalung, normalerweise auf Händen und Füßen. Gerne wollte ich Teil dieser indischen Tradition sein. Aber vorerst beobachtete ich die anderen Frauen und wartete bis eine Geübte Zeit für mich hatte. Früher wurden die aufwändigen Mehndimotive mithilfe von Streichhölzern oder Zahnstochern aufgetragen; heute kommt die Hennapaste fertig aus Papier- oder Plastiktütchen, die man nur unten aufschneiden und dann die Paste von oben herausdrücken muss.
Surparna’s beste Freundin malte mir quer über die Hand bis zum Zeigefinger Blumenmuster. Dann übernahm eine andere und vollendete das Kunstwerk. Schnell war meine weiße Hand dunkelbraun, an diesen Anblick musste ich mich erst gewöhnen. Am Unterarm wünschte ich mir eine Blumenranke. Die Fingerspitzen füllten sie vollständig mit der dunkelbraunen Paste aus. Das fand ich nicht so ansehnlich und wenig kreativ, aber das muss wohl so sein. Mit ein bisschen Übung kann ich mir bestimmt demnächst mein eigenes Mehndi aufmalen. Es gibt natürlich auch professionelle Mehndi-Künstler. Erstmal schauen, wie ich mit meinem neuen Körperschmuck klar komme. 




Die Paste musste ca. zwei Stunden trocknen. Es war schwierig nichts zu berühren. Aber alle Frauen liefen mit bemalten Händen herum und teilten dieses Vergnügen mit mir.
Zu Hause wusch ich die braune Kruste ab und zum Vorschein kam eine knall-orangene Handbemalung. Am nächsten Morgen hatte sie sich dunkelbraun verfärbt. Meine Hand versprühte einige Tage lang einen mir bis dato unbekannten und starken Geruch.


Die aus den Blättern des Hennastrauchs gewonnene Paste verblasst innerhalb von zwei Wochen. Henna wird schon seit langem für ayurvedische Arzneimittel verwendet, da es eine kühlende, reizlindernde und antiseptische Wirkung haben soll.
Im Hause der Braut wurde das gleiche Fest gefeiert. Die Muster der Braut an Händen und Füßen sind am aufwändigsten und brauchen oft Stunden, bis sie trocken sind. Dies ist beabsichtigt, damit sich die Braut vor der Hochzeit ein paar Stunden erholen und mit den Frauen der Familie Zeit verbringen kann. Mehndi soll Glück bringen und die Trägerin beschützen. Die Mehndimotive Blumen und Blätter bedeuten Fruchtbarkeit, die Blumenranke Liebe.
Je dunkler das Mehndi (die Henna-Verzierungen) der Braut, umso mehr soll ihre Schwiegermutter sie mögen. Außerdem braucht die Braut nicht bei der Hausarbeit zu helfen, bis ihr Hochzeits-Mehndi ganz verblasst ist. Kein Wunder also, dass einige indische Bräute Zitronensaft über das frisch aufgetragene Mehndi träufeln, damit es dunkler wird und länger hält. Ich hatte auch Zitrone auf meine Hand bekommen. Am Montag auf Arbeit wurde ich – wie sollte es anders sein - wieder von allen Kolleginnen bewundert und komplimentiert für mein Mehindi. Priyanka war so hin und weg, dass sie sagte: „Die Farbe sieht so toll aus und so dunkel. Dein Freund muss dich aber sehr lieben.“ Schön, aber was sagen sie, wenn die Farbe langsam verblasst. Muss ich mir dann Sorgen machen? ;)

am nächsten Morgen
9 Tage später
5 Tage später






Hochzeit

Wenn in Indien Festhallen mit farbenfrohen Stoffbahnen, Lichtern und Blumen geschmückt werden, dann ist Hochzeits-Zeit! Hochzeiten werden hier so groß und pompös wie möglich gefeiert. Sie sind das Highlight im Leben eines Inders. Auf den vielen Hochzeiten, die man jährlich besucht, pflegt man seine sozialen Kontakte. Wenn es also Zeit ist, sich für die guten Stunden, die man hatte, zu revanchieren, möchte keiner am falschen Ende sparen und als knausrig gelten. Eine Hochzeit auszurichten heißt auch, seinen Wohlstand öffentlich vorzuführen, selbst wenn man es sich eigentlich nicht leisten kann. Auf dieses eine Event im Leben sparen sie lange hin.
Am Montag fand die Shetty-Hochzeit in Udupi statt. Warum gerade mitten am Tage in der Woche? Wahrscheinlich war es eine Mischung aus günstigem Horoskop und weil am Sonntag alle dafür zu verkatert gewesen wären.
Ich verschwand für ein paar Stunden von Arbeit. Martin und ich kamen gegen halb 1 an, hatten aber die ganze Hochzeitszeremonie verpasst. Jetzt stürmten gerade alle hinauf zur Bühne, um das Paar zu beglückwünschen. Sie streuten Reis über die Köpfe, schüttelten Hände und posierten fein artig für den Fotografen. Das dauerte Stunden bei 2.500 Gästen.


Suparna, Martin, Suparnas Bruder, die Braut und ich

Die lauten und aufwändigen indischen Hochzeiten sind ein Heidenspaß für alle außer dem Brautpaar, das ein langwieriges Ritual nach dem anderen über sich ergehen lassen muss. Es wird allgemein gescherzt, dass die Scheidungsrate in Indien deshalb eine der niedrigsten der Welt sei, weil sich niemand dieser langen Hochzeitszeremonie freiwillig noch einmal aussetzen möge.

Wir saßen allein und etwas verloren in der großen Halle, da Martin’s Klassenkameraden noch nicht in Sicht waren. Da kamen zwei besonders herausgeputzte indische Frauen auf uns zu. In einem sehr guten Englisch fragten sie uns freundlich, woher wir kämen und ob wir erst mal etwas essen möchten. Gratulieren können wir, wenn die Schlange sich etwas aufgelöst hat. Das war uns sehr recht. Wir nahmen an den langen Essenstafeln Platz.
Die eine Frau setzte sich neben mich. Sie war sehr hübsch und trotz indischen Sari unterschied sie sich von den Frauen. Ihre dunklen glatten Haare wehten offen im Wind, während sie bei den anderen zugebunden und Blumen reingesteckt waren. Sie war äußert aufgeschlossen und redselig – und das lag sicher nicht nur am verbindenen Englisch. Sie wohnt schon seit vielen Jahren in den USA in Chicago. Extra für die Hochzeit nahm sie die 22 Stunden Flug auf sich.
Es folgte das typische Essen auf Bananenblättern. Regelmäßig ging jemand durch die Reihen und warf uns etwas zu Essen hin. Mit Fingern essen war angesagt – damit werde ich mich wohl nie richtig anfreunden können. Das Mahl am Hochzeitstag war traditionell rein vegetarisch. Es schmeckte vorzüglich und war zum Glück nicht scharf. Zum Schluss gab es drei verschiedene Süßspeisen und Eis. Als ich hier ankam, waren die indischen „Sweets“ viel zu süß für meine vitaminverwöhnte Zunge, aber jetzt esse ich fast alles. Diabetes winkt mir schon von Weitem zu. Nur bei den aus purem Zucker bestehenden „Jalebi“ mussten sowohl Martin, ich und selbst die indische Amerikanerin aufgeben.
Dann gingen wir auf die Bühne, um ein Foto mit dem Brautpaar machen zu lassen. Darauf wird immer sehr großen Wert gelegt.

Während der Hochzeitsfeier sitzt das Paar mehrere Stunden auf einem Podest, damit jeder Gast sie genau betrachten kann. Die Braut ist in einen farbenfrohen Sari gehüllt und reich geschmückt. Selbst ihre Hände sind bemalt und mit glitzerndem Geschmeide verziert. Der aufwendige Schmuck soll die Götter günstig stimmen und sie veranlassen, Unheil abzuwenden. 
Nach der Hochzeit verlässt die Tochter das Haus ihrer Eltern und lebt im Hause des Ehemannes. 





Reception

Am Mittwoch fand die Reception in Mangalore statt. In einem gemieteten schicken Bus fuhr die ganze Klasse fröhlich auf dem Highway entlang. Guillaume hatte ich auch mitgenommen, damit er etwas Neues von Indien kennen lernt. So eine pompöse Shetty-Hochzeit kommt ja nicht alle Tage vor. 



Auf der Busfahrt wurde ich wieder gebeten deutsche Lieder für alle zu singen. Essbares wanderte durch die Sitzreihen. Als erstes eine grüne Mangoscheibe mit Schale. Als Martin die probierte, verzog er sein Gesicht so extrem, dass alle losprusteten. Als nächstes gab es eine bambusähnliche Stange namens
Sugar Cane (Zuckerrohr). Die Halme haben einen Durchmesser von 20 bis 45 mm und erreichen eine Höhe von 3 bis 6 Metern. Indien ist nach Brasilien das zweit wichtigste Hauptanbauland von Zuckerrohr. Sie erklärten uns, wie man aus der Stange das Essbare heraus bekommt. Die harte holzähnliche Schale sollte man mit den Zähnen entfernen. Guillaume war der einzige Mutige von uns drei Weißen, der es probierte.
Neben der Erzeugung des Grundnahrungsmittels Zucker ist Zuckerrohrsaft, frisch gepresst und gekühlt, beliebt. Beim Frühstück im Food Court gibt es das oft. Der „Sugar Cane Juice“ war süß, kühl und der Geschmack etwas ungewohnt. Säfte werden in Indien immer frisch gepresst - von Ananas, Apfel, Orange, Wassermelone bis Zitrone. 

















In Mangalore angekommen, hielten wir zuerst am Sri-Gokarnath-Tempel. Der Haupttempel ist von vielen kleineren Tempeln umgeben. Wandbilder zeigen vielfältige Szenen von Sagen und Legenden der Götter. Das viele Gold blendete und ich wusste gar nicht, wo ich zuerst hinschauen sollte. 

Suma und Senthil vor dem Haupttempel
 



Rohit steht vor der Verbildlichung, in der Gott Krishna in eine entscheidene Schlacht fährt.


Im Tempel musste die Kamera ausbleiben. Es war sonderbar den jungen modernen Studenten zuzusehen, wie sie sich vor Goldstatuen unterwürfig auf den Boden knieten und voll konzentriert beteten. Eine völlig andere Welt, die ich wohl nie ganz begreifen werde. In mir entstand beim Zusehen der starke Eindruck der Unfreiheit durch die Religion. Ich blickte mit sehr viel Abstand auf das Prozedere und fühlte mich dabei gedanklich und körperlich unheimlich frei.
Mit Martin, Guillaume und mir haben sie jetzt schon drei Weiße kennengelernt, die einfach keine Religion haben und an keinen Gott glauben. Wie schwer muss das für sie zu begreifen sein?
Als Martin und ich eine Runde um den Tempel gingen, wurden wir von seinen Klassenkameraden gestoppt. Ausversehen sind wir gegen den Uhrzeigersinn gelaufen. Wir drehten also wieder um, schließlich wollen wir nicht die höhere Ordnung zerstören.


Bevor wir weiter zur Reception fahren konnten, warteten wir noch auf einige, die sich etwas zu knabbern gekauft hatten. Einer erklärte mir – wahrscheinlich nicht ganz ernst gemeint – dass sie das immer so handhaben. Vor dem Essen essen sie etwas Kleines, vor dem Schlafen gehen, schlafen sie ein wenig.
Etwas später stiegen wir aus und betraten den Milagres Hall Komplex – hell beleuchtet und mit Springbrunnen.


Am Eingang wurde uns ein kleines Begrüßungsgetränk gereicht – natürlich kein Sekt oder Ähnliches - ein Wassermelonensaft. Auf der Bühne wurde Tulu gesprochen, so dass selbst nicht alle Studenten es verstehen konnten. Wiederum entschieden wir uns erst zu essen und dann auf der Bühne zu gratulieren. Das Essen war wieder vorzüglich und zur Freude sogar nicht-vegetarisch. Zum Nachtisch gab es Eis mit Früchten.

Typisch indisch: Plastikstühle und Ventilatoren an der Decke


Die ganze Zeit hatte Hari schon meinen Freund gedrängelt, dass er endlich mit zur Bar kommen sollte. Ich hatte noch nicht richtig aufgegessen, da waren sie schon verschwunden. Ich folgte der Richtung und betrat einen dämmrigen abgeschlossenen Raum. Schnurstracks steuerte ich zum Tisch mit den bekannten Gesichtern. Hari stand auf und sagte, ich solle doch zu den anderen Frauen gehen. Hier seien ja nur Männer. Das stimmt, es war weit und breit an keinem der Tische eine einzige Frau zu sehen. Ich fragte: „Warum? Wenn es die Männer nicht stört, ich habe kein Problem damit die einzige Frau zu sein.“. Ein Hoch auf die Emanzipation in Indien – ich durfte bleiben. Martin war sogar ein bisschen stolz auf mich. Meine Freiheiten, die ich vorallem als Frau habe, lerne ich hier erst einmal richtig zu schätzen. Im Anschluss wurde ich von Hari persönlich mit ausreichend Getränken versorgt. Dazu gehörte das Standard-Kingfisher-Bier und sogar teurer Wodka, der dann alle war. Neben den Getränken wurden uns ständig Fried Chicken, Chips und sogar Salat gereicht. Schön, dass ich erstmal in die Bar gehen muss, um hier etwas Gesundes zu bekommen. Den armen Frauen bleibt das vorenthalten – verrückte Welt.
Essen und trinken auf Kosten „unbekannter“ Menschen – das sind Hochzeiten in Indien. Obwohl die Bar wahrscheinlich eher ein Einzelfall der sehr reichen Hochzeitsfeiern ist. Alkohol ist schließlich teuer und wenig heilig.



Waren wir bisher nur zu sechst am Tisch, kamen jetzt noch andere Mitschüler hinzu. Einige tranken allerdings nur Cola. Dann drängte man uns schon wieder zum Aufbruch, denn wenn wir zu spät in Manipal eintreffen, müssen wir dem Fahrer mehr bezahlen. Hari schimpfte, dass er gerne mehr Zeit gehabt hätte und deswegen lieber erst trinkt und dann isst. Er behauptete, dass er fürs Essen nur 10 Minuten, für das Trinken aber mehr Zeit braucht. Ist bei mir irgendwie andersrum.
Suparna bestand darauf, dass Martin, Guillaume und ich noch schnell ein Foto mit dem Brautpaar machen sollten. Dann ging es mit dem Bus wieder zurück. Die Stimmung war sehr gelöst und die Klassenclowns konnten sich nicht mehr auf ihren Sitzen halten. Gegen halb 12 kamen wir dann glücklich und zufrieden in Manipal an.




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