Donnerstag, 19. Mai 2011

38/ Restaurants – der ganz normale Wahnsinn :)


Marktwirtschaft und Wettbewerbsverhalten scheinen in der indischen Gastronomie noch nicht endgültig angekommen zu sein. Denn dann wüsste man, dass klebrige mit Fliegen besetzte Tische, kaputte Plastikstühle und zerflederte Speisekarten sicher nicht zu einer konsumschwangeren Essensatmosphäre beitragen.
Jedem Inder ist wohl bekannt, dass es hier mitunter täglich Stromausfall gibt. Die meisten Restaurants haben deswegen einen Inverter, um das Geschäft weiter am Laufen zu halten. Es gibt aber auch Ausnahmen. Ein kleines „Restaurant“ (siehe Blogeintrag 9), das ständig von Studenten belagert wird, muss bei Stromausfall alle Leute fortschicken. Hauptsache sie haben einen Fernseher. Die verdienen jeden Tag eine Menge Kohle mit den Studenten. Was machen die damit? In eine zumindest dem indischen Standard entsprechende Ausstattung oder einen Inverter investieren sie es jedenfalls nicht. Vielleicht argumentieren sie ja so, dass sie bei Stromausfall so viel Minus machen, dass sie nichts für funktionstüchtige Plastikstühle übrig haben. Vielleicht haben sie das auch nicht nötig. Ich habe schon hungrige Menschen warten sehen, bis der Strom wieder kam. Als gäbe es hier nicht alle paar Meter ein anderes Restaurant. ;) Außerdem schließt die „Fressbude“ punkt 19.00 Uhr. Ich konnte es nicht fassen, als kurz vor 7 trotz essenden Gästen die Stühle hochgestellt und neue Gäste abgewiesen wurden.
In einem anderen Speiselokal gibt es andere Probleme. Es kam schon öfters vor, dass sie mir einen Großteil der Gerichte auf ihrer Karte nicht anbieten konnten. Grund: Der Koch war noch nicht da oder sie hatten weder Nudeln noch Macaroni da! Und das zu Beginn der Abendbrotszeit. Hallo? So was kann man lagern - das wird nicht schlecht. Naja, ich als geborene Perfektionistin muss mich wohl dran gewöhnen, dass hier nichts „perfekt“ ist – im deutschen Sinne.

Die Speisekarten in den hiesigen Restaurants (falls es eine geben sollte) unterscheiden sich, was die Auswahl der Speisen betrifft, nicht wesentlich. An der Menge der Rechtschreibfehler und der Abgenutztheit der Karten bzw. Blätter kann man oft auf das Preisniveau schließen. Beim Lesen der meisten aufgeführten Speisen, bilden sich in unseren Köpfen drei groβe Fragezeichen. Und wenn es ums Essen geht, sollte man in Indien nicht zu mutig sein und wahllos drauf los bestellen. Wer möchte denn seine Geschmacksnerven freiwillig foltern?
Die Namen der Gerichte sind meist eigenwillige Kombinationen aus Englisch, Hindi und regionalen Sprachen. Wer weiß schon was sich hinter Neer Dosa, Pav Bhaji oder Kori Rotti verbirgt? Bei wem läuft denn bitteschön nicht das Wasser im Munde zusammen, wenn er Baigan Bhartha, Malai Kofta, Paneer Jugalbhandhi, Handi Gosht oder Murg Kali Mirchi liest? Da wächst die Sehnsucht nach schönem deutschen Essen wie zum Beispiel Döner. Zumindest eine gewisse Wortstammähnlichkeit gibt es mit den indischen Hazzare Kabab oder Hariyali Kabab. Also liebe Mitbürger im gebärfreudigen Alter; wer noch einen besonders ausgefallenen Namen für sein Kind sucht - eine indische Speisekarte hilft sicher weiter.

Doch es liegt nicht nur an unserer fehlenden indischen Abstammung, dass die Speisekarte oft ein Buch mit sieben Siegeln darstellt. Die deutsche Rechtschreibung hat uns bestimmt das letzte bisschen kreativen Buchstabensalat ausgetrieben. Nehmen wir uns ein Beispiel an den Indern: Während ein Gläschen „Batter milk“ noch sehr sympathisch rüber kommt, wirkt der „Grill Chicken Berger“ schon etwas dreist. Die kreative Bandbreite umfasst weiterhin „famouse“ (famous=berühmt), „Ciken“ (Chicken=Huhn), „Vanila“ (Vanilla=Vanille) oder „Tomatto Sauce“ (Tomato Sauce=Tomatensoße). Etwas verkohlt dürften sich auch unsere lateinamerikanischen Freunde vorkommen: Maxicana Chicken Sizzler & Maxicana Sauce.
Für endgültige Verwirrung im Speisekartendschungel sorgen aber die indischen Spezialitäten selbst. Wer käme denn auf den Gedanken, dass ‚Pannier‘ das Gleiche ist wie ‚Paneer‘ (Käse) oder ‚Paratha‘ schlicht ‚Parota‘ (indisches „Brot“, sieht aus wie Eierkuchen) sind?

Die ‚Mashroom Fried Noodle‘ (gebratene Nudel mit Pilz) scheint die beste Wahl für den ganz klitzekleinen Hunger zu sein. Vielleicht ist es auch ein Appetitanreger für den Appetitanreger, was aber nicht den Preis von 45 Rupien rechtfertigt.
 
Weiter geht’s: Wenn ‚Egg‘ Ei bedeutet und ‚Omelet‘ ein Omelette ist, dann erkläre mir mal bitte jemand den Unterschied zwischen den beiden Gerichten ‚Egg omelet‘ und ‚Omelet‘.

Der ‚Green Salad‘ (Grüner Salat) klingt dagegen eindeutig und vielversprechend. Serviert bekommt man allerdings einen kleinen Teller mit dicken Zwiebel-, Tomaten-, Möhren- und Gurkenscheiben - das alles ohne Dressing. Aber wenn man Glück hat, gibt es noch ein Stück Zitrone dazu. Da die Gurken hier eher weiß aussehen, ist die Bezeichnung ‚grüner‘ Salat wohl dem um sich schlagenden Ökotrend geschuldet. Dafür steht auch folgendes Mahl: ‚Green meet soup‘. Ob hier nun “Grüne auf eine Suppe treffen“ oder uns doch eine hoffentlich gesundheitlich unbedenkliche „grüne Fleischsuppe“ erwartet, gilt es noch zu testen. In die grüne Abteilung reiht sich ebenfalls ‚Aloo Jeera‘ ein. Das kommt euch irgendwie bekannt vor? Na klar, die ‚Aloe vera‘-Marketingmaschinerie scheint sich bis Indien durchgeschlagen zu haben. Sorgt das Gericht jetzt für Schönheit von innen oder es ist es doch nur ein harmloses indisches Kartoffel-Gericht?

Kommen wir zur Fleischabteilung indischer Speisekarten. Sagte ich Fleisch? Ich meinte natürlich „Chicken“ oder besser gesagt „Non-Veg“. Mein Favorit vom Namen her ist das ‚Chicken lollypop‘. Pragmatisch bis einfallslos dagegen das ‚Chicken 65‘. Ich hoffe nicht, dass die Zahl für dessen Jahrgang steht. Bei dem Gericht ‚Dragon Chicken‘ spuken komische Bilder in meinem Kopf herum. Aber es wird nicht besser. Ob ‚Paneer Finger‘ (Käsefinger) genauso markant riechen wie die Kollegen mit den Zehen dran? „Chicken Finger“ klingt vielleicht gewöhnungsbedürftig, aber erst mit dem Gericht ‚Lady’s Finger‘ schießen sie den Vogel definitiv ab.

Besonders gern habe ich die Gerichte, bei denen nichtssagende Adjektive versuchen vielversprechende Namen zu kreieren, was widerum den saftigen Preis rechtfertigen soll. Beste Beispiele: ‚Famous Special Burger‘, ‚Pizza Veg Extravaganza‘ oder ‚Pizza Chicken Bonanza‘. Der einfallsreiche ‚Cottage in the woods Burger‘ bewegt sich ebenfalls fernab meiner Vorstellungskraft – eine „Hütte im Wald“ zu verspeisen gehört nicht zu meiner Was-man-im-Leben-mal-gemacht-haben-muss-Liste.

In der Rubrik “Sandwiches” ist meine erste Wahl sicher nicht das ‚Chilly Toast Sandwich‘. Meine Neugier erweckt eher das ‚Sandwich Veg & Cheese S/W‘. Ich verneige mich zutiefst, sollten sie es tatsächlich schaffen mir ein schwarz-weißes vegetarisches Käsesandwich zuzubereiten. Für die Figurbewussten empfehle ich das ‚Veg Sandwich‘. Etwas teurer, wahrscheinlich aufgrund des Mitgliedbeitrags zum Diätclub, ist dann das ‚Veg Club Sandwich‘. Beim ‚Indian Jones Sandwich‘ ist man gewillt sich den berühmten Archäologen in den Tiefen der Klappstulle grabend vorzustellen. Weniger harmlos ist jedoch die Übersetzung dazu: Indisches Heroin-Sandwich.

Wer nach diesem spektakulären Angebot noch nicht gesättigt ist, der kann in ausgewählten Fastfood-Ketten einen ‚Black Forest‘ käuflich erwerben. Und bitte vorsicht beim Faluda-Eisbecher - darin befinden sich Nudeln und Kaviar-Ähnliches.


Wie ihr lesen konntet, ist die indische Speisenkreativität schier unendlich und es sei ihnen verziehen, wenn es dann aufgrund von Platzmangel auf der Speisekarte zu solchen Wort-Gerichten kommt: „BackedMacronichickenwithCheese“.

Speisekarte unseres billigen Lieblingsrestaurants "Hotel Shantala"


Noch eine kurze Anekdote zum Thema Bar:
An einem Samstagabend traten wir in eine gutbesuchte kleine Bar ein. Ich studierte gerade den Aushang an der Wand mit den wenigen Cocktails, da sagte uns ein Angestellter wir sollen doch nebenan ins Café 18 gehen. Etwas verwirrt folgten wir dem Mann und betraten die von Türstehern bewachte Schickimicki-Lokalität – Martin im lässigen Deutschland-Trikot, kurzer Hose und Rucksack. Die Räumlichkeiten waren gut klimatisiert, aber gähnend leer. Der Blick in die Karte war kein schöner Anblick. Die Preise für alle Getränke waren ungefähr doppelt so teuer wie in der kleinen Bar davor. Aus Anstand bestellten wir ein kleines Kingfisher. Trotz guter Musik kam aufgrund fehlender Gäste keine Partystimmung auf. Wir waren froh diesen Ort schnell wieder zu verlassen. Das Personal war bestimmt enttäuscht von unserem schlechten Umsatz. Am Ausgang sollte Martin seine Handynummer herausgeben – das hätte ich nie und nimmer gemacht. Aber er hatte es so verstanden, dass sie sicher gehen wollten, dass der Gast auch gut zu Hause ankommt. Ich sag nur ein kleines Bier. :) Haha, jetzt kriegt er dauernd Werbe-SMS vom tollen teuren Café 18.




PS. Übrigens wurde mein Blog jetzt in einem Artikel einer offiziellen News-Seite verlinkt. Klickt einfach mal im zweiten Absatz auf „ihre vierarmigen Götter“. Und den Artikel könnt ihr auch gleich mal lesen – sehr interessant!



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