Sonntag, 19. Juni 2011

44/ Nordindienreise – Goldener Tempel und Massaker von Amritsar


Jetzt sind wir nur noch zu viert. Unsere zusammengeschrumpfte Reisegruppe durch Nordindien: Ankur, Yuvaraju, Martin und ich. Indische Frauen weiß man am liebsten zu Hause unter der Obhut der Familie. Suparna durfte leider nicht mitkommen.

Drei Busse bringen uns nach Amritsar. Die Stadt liegt im nordwestlichen Bundesstaat Punjab mit etwa 1.000.000 Einwohnern und ist das spirituelle Zentrum des Sikhismus (Goldener Tempel). Kleiner Kulturschock: Hier ist es noch krasser, als man sich eine indische Großstadt vorstellt. In der Luft hängt ein grauer staubiger Schleier. Alles ist dreckig, überfüllt und Armut überall präsent.

Eigentlich wollten wir mit dem Nachtbus wieder zurück nach Dehli fahren, aber ich lege mein Veto ein. Seit Tagen habe ich mich keine Minute mal richtig wohl fühlen bzw. ausruhen können. Ich möchte nur noch in ein mega schickes Hotel – egal wie viel es kostet. Erst mal wieder Mensch werden und Kraft tanken. Per Fahrradriksha suchen wir uns eins. Das erste hatte keine Dusche. Das zweite ist dafür umso traumhafter. Sauber und Klimaanlage für 1.250 Rupien. Und endlich eine Dusche - nach einer Stunde auf indischen Straßen gleicht man einem Staubfänger.


Am späten Abend machen wir uns auf den Weg zum Goldenen Tempel. Verkäufer halten uns komische Tücher hin. Ich dachte mir, wer kauft denn bitteschön so was? Bis ich erfahre, dass auch ich so eins kaufen muss. Ich lass mir ja nicht gerne irgendetwas vorschreiben (Kleidung), aber wenigstens müssen hier alle ihren Kopf bedecken – von Kind bis Mann. Als Martin sein Kopftuch aufsetzt, haben wir alle den selben Gedanken: Er sieht aus wie ein Jünger des Ku-Klux-Klan. Aber schließlich wird jedem Besucher der Eintritt gewährt, egal welcher Religion er angehört.
Dann müssen wir unsere Schuhe abgeben und mit nackten Füßen durch eine sicher nicht keimfreie Wasserstelle laufen. 

 

Der Goldene Tempel liegt auf einer Insel im so genannten Nektarteich und ist mit Blattgold bedeckt. Auf dem Steg dorthin warten wir ewig. Plötzlich sollen wir uns eng an eng alle auf den harten Steinboden setzten. Lange halte ich es nicht aus und stehe demonstrativ wieder auf. Alles ist in der Tempelanlage sehr sauber. Der Boden beim Tempel fühlt sich eingefettet an. Er wird täglich mit Milch gewischt.


Im Tempel wird das heilige Buch der Sikhs aufbewahrt und während der Tageszeit Verse daraus rezitiert. Diese Gesänge werden musikalisch untermalt und sind über Lautsprecher in der ganzen Tempelanlage zu hören, was eine eindrucksvolle Atmosphäre schafft. Als wir endlich im Tempel sind, wird das Buch gerade in einer Prozedur in Stoffbahnen gehüllt und ‚schlafen‘ gelegt.
Umgeben ist der Tempel von einer Palastanlage. Diese hat je ein Tor auf allen vier Seiten, was die Offenheit der Sikhs gegenüber allen Menschen und Religionen symbolisieren soll. Der Tempel ist immer geöffnet und wird täglich von tausenden Pilgern, darunter nicht nur Sihks, besucht. Dem Glauben der Sikhs zufolge kann, wer im heiligen Wasser badet oder davon trinkt, sein persönliches Karma verbessern. 


Die Sikhs machen in Indien nur ca. 2% der Bevölkerung aus. Mehr als die Hälfte von ihnen leben im Bundesstaat Punjab. Der Sikhismus entwickelte sich aus einer ursprünglich hinduistischen Sekte heraus. Diese neue Religion lehnte das strenge Kastensystem der Hindus ab und stand für Gleichheit und Frieden ein. Von der hinduistischen Philosophie übernahmen sie die Karmalehre und den Glauben an den Kreis der Wiedergeburt.
Martin ist besonders von den auffälligen Turbanen der Sikhs fasziniert. Sikhs müssen sich nämlich an strenge Regeln halten. So ist der Konsum von Alkohol strengstens untersagt, sowie das Rauchen und das Schneiden der Kopf - und Barthaare. Bei kleinen Jungs sticht nur ein kleiner runder Knäul aus dem mit einen Tuch umspannten Kopf hervor. Bei den älteren Männern ist der Haar-Turban umso größer. Welche Last sie da täglich auf ihrem Kopf rumschleppen müssen. Und wie kratzen sie sich? Den ausgeprägten Vollbart nicht zu vergessen. Was die Menschen sich da wieder für ihren Glauben antun. Die Frauen haben es in dieser Religion fast einfach dagegen: Es reicht aus, wenn sie ein transparentes Tuch in der Farbe ihrer Wahl über den Haaren tragen.


Am nächsten Morgen essen wir zum Frühstück das gleiche leckere nordindische Essen wie abends: Dhal Makani, Aloo Parota mit Butter, Curd und Lassi. Ankur sagt, dass sie in Nordindien zum Frühstück sehr viel und kräftig essen, dafür nichts zum Mittag und dann wieder ein ordentliches Abendbrot zu später Stunde.



Im Anschluss besichtigen wir einen Park. 1919 verübten dort britische Soldaten das Massaker von Amritsar an Sikhs, Muslimen und Hindus, die für die Unabhängigkeit Indiens protestierten. Betroffen waren Männer, Frauen und Kinder gleichermaßen. Das Massaker fand in einem von Mauern umgebenen Park, dem Jallianwala Bagh, statt. Der einzige Fluchtweg - nämlich der einzige Eingang zu diesem umfriedeten Platz - wurde von den Soldaten selbst versperrt. Nach offiziellen Angaben wurden 379 der gewaltlosen Demonstranten getötet und 1.200 verletzt. 


Denkmal in Erinnerung an das Massaker von Amritsar
Einschusslöcher an einer erhaltenen Mauer

In Anbetracht dieses grausamen historischen Ereignisses, ist es traurig, dass man nicht mal hier vor lüsternen „Paparrazzis“ in Ruhe gelassen wird. Verständlicherweise bringen Martin die unverblümten Blicke und Fotoversuche zur Weißglut. An sie werde ich mich wohl nie gewöhnen können. Dort war das letzte Mal, dass ich mich zusammen mit fremden Indern fotografieren ließ. Kleine Jungs rennen mir noch bis zum Ausgang hinterher für ein Trophäenbild.



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